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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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schnarchte.
    »Hab ich’s doch gewusst! Dreifach vernagelter Hundsfott!«
    Der Henker eilte auf den friedlich schlafenden Medicus zu und rüttelte ihn wach.
    »Hab ich dir nicht gesagt, du sollst Wache halten?«, zischte er. »Und jetzt sägst du hier den ganzen Kientaler Wald zusammen!«
    »Wie? Was …« Simon rieb sich die Augen. Es dauerte eine Weile, bis er erkannte, wer vor ihm stand.
    »Mein Gott, Kuisl!«, rief er schließlich. »Es … es tut mir leid. Aber die letzten Tage …«
    Doch der Henker hatte sich bereits wieder abgewandt und beugte sich nun über den leblosen Novizenmeister. Er hielt sein Ohr an dessen Brust, dann fühlte er den Puls.
    »Verflucht!«, flüsterte er. »Der Mann ist tot! Jetzt werden wir nie erfahren, wo er die Monstranz gefunden und wer ihm das angetan hat!«
    »Das … das kann nicht sein.« Simon fuhr hoch und tastete nach Laurentius’ Herzschlag. Dann riss er die Verbände von dem verbrannten Gesicht des Mönchs und hielt ihm die kleine Kupferscheibe vor die Nase. Als sie nicht beschlug, ließ er sich niedergeschlagen zurück in den Stuhl fallen.
    »Es muss in der letzten Stunde passiert sein«, sagte er reumütig. »Ich habe noch ein wenig gelesen, und dann sind mir wohl die Augen zugefallen.«
    »Und der Hexer ist gemütlich hier hereinspaziert und hat unserem einzigen Zeugen das Lebenslicht ausgeblasen«, blaffte der Henker. »Viel wird dazu nicht mehr nötig gewesen sein.«
    »Wie kommst du darauf, dass es wirklich dieser Hexer war?« Magdalena flüsterte, um die anderen Kranken nicht zu wecken. »Vielleicht ist er einfach so gestorben.« Insgeheim spürte sie, dass sie nach Gründen suchte, um Simon vor dem Zorn ihres Vaters zu bewahren.
    »Und was ist das hier?« Mit spitzen Fingern zog der Henker einen Fetzen schwarzen Tuches aus der geballten Faust des Novizenmeisters. »Schaut ganz so aus, als hätte sich Pater Laurentius doch nicht ganz kampflos auf den Weg ins Paradies gemacht.«
    Magdalena beugte sich über den winzigen Fetzen. »Das könnte von einer Kutte stammen«, sagte sie nachdenklich. »Oder aber von einem anderen Kleidungsstück. Jedenfalls ist es nicht unbedingt …« Sie brach ab und sah nach unten, wo Simon am Boden herumkroch und ganz offensichtlich etwas suchte.
    »Was in Herrgotts Namen machst du da?«
    »Die … die Andechser Chronik!«, stieß Simon hervor. »Sie ist verschwunden! Ich habe vorhin noch darin gelesen. Als ich eingeschlafen bin, muss sie mir aus der Hand gefallen sein. Und jetzt ist sie weg!«
    »Na wunderbar«, knurrte der Henker. »Nicht nur dass dieser Hexer unseren einzigen Zeugen umbringt. Jetzt stiehlt er auch noch deine Bücher, während du ihm was vorschnarchst. Wie saublöd bist du eigentlich?«
    »Vater, hör doch auf, ihn zu quälen!«, schimpfte Magdalena. »Du siehst doch, dass es ihm leidtut. Außerdem hättest du dich ebenso gut hersetzen und Wache halten können. Aber nein, du musstest ja wie so oft durch die Wälder streifen.«
    »Weil ich gesucht werde, du freches Flitscherl! Wie oft muss ich dir das noch sagen?«
    Von den hinteren Betten war erneut Stöhnen zu vernehmen. Ein älterer Bauer mit grauem eingefallenem Gesicht hatte sich aufgerichtet und blickte neugierig zu ihnen herüber.
    »Wenn ich einen Vorschlag machen dürfte«, flüsterte Simon, der sich mittlerweile wieder vom Boden erhoben hatte. »Lasst uns dieses Gespräch unten in der kleinen Elisa­bethkapelle fortsetzen. Dort sind wir ungestört, und ich kann euch besser erzählen, was ich in der Chronik ­herausgefunden habe.« Er versuchte ein Lächeln. »Vielleicht kann ich damit wieder was gutmachen und lande nicht sofort auf der Streckbank.«
    Die Elisabethkapelle befand sich unterhalb der Klosterkirche. Sie war direkt in den Hang hineingebaut, ein unscheinbares Kirchlein, das auch an belebten Tagen ein Hort der Stille und Einkehr war.
    Bisweilen besuchten Pilger die Kapelle, weil das Wasser des kleinen Brunnens in der Apsis Augenleiden heilen sollte. Jetzt, gegen zehn Uhr nachts, war es hier jedoch so still wie im Wald dahinter. Kleine Kerzen brannten neben dem Altar und warfen ein flackerndes Licht auf die wenigen Kirchenbänke, in denen die drei Kuisls saßen.
    »Und du meinst, der Bibliothekar, der Cellerar und vielleicht auch dieser Hexer suchen die Reliquien und Schätze, die damals während der Eroberung der Andechser Burg versteckt wurden?«, fragte Magdalena ungläubig.
    Simon hatte den anderen beiden von seinen Überlegungen erzählt.

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