Der Hexer und die Henkerstochter
und vom Plan ihres Vaters, dessen Unschuld zu beweisen. Graetz hatte mit offenem Mund zugehört und nur gelegentlich den Kopf geschüttelt. Die Kinder schliefen nach wie vor friedlich in der Kammer nebenan.
»Ich habe wirklich keine Ahnung, wo er jetzt ist«, erwiderte Magdalena. »Vielleicht hat er im Kloster etwas herausgefunden, und der Hexer hat ihn sich geschnappt.«
»Deinen Vater?« Der Schinder lachte. »Wenn auch nur die Hälfte der Geschichten stimmt, die ich von ihm kenne, dann kann dieser Hexer froh sein, wenn er den Heiligen Berg in einem Stück verlässt.« Schlagartig wurde er wieder ernst. »Aber auf alle Fälle sollten wir ihn suchen gehen. Außerdem musst du endlich deinem Simon Bescheid geben, bevor der sich auch noch Sorgen macht.«
»Dem Simon?« Magdalena machte ein abfälliges Geräusch. »Der sieht vor lauter Arbeit ja nicht mal, wenn ich direkt vor ihm steh. Und seine Kinder sind ihm offensichtlich auch egal. Der Simon kann mir zurzeit gestohlen bleiben.«
»Du darfst nicht so streng mit ihm sein«, rügte Michael Graetz sie. »Meine Ani, Gott hab sie selig, hat auch immer geschimpft, wenn ich mich ein paar Tage nicht hab sehen lassen. Glaub mir, Mädchen, wir Männer sind so. Kriechen in eine Höhle und finden dann den Ausgang nicht mehr, bis uns einer die Hand reicht.«
Unwillkürlich musste Magdalena lächeln. »Du magst recht haben. Aber einfach macht ihr Mannsbilder es uns damit nicht gerade.«
Ein leises Greinen drang aus der Kammer zu ihnen herüber, verstummte aber schon bald darauf wieder.
»Was ist eigentlich mit deinen eigenen Kindern?«, fragte Magdalena den Schinder in die folgende Stille hinein. »Sind wohl alle schon aus dem Haus?«
Michael Graetz zuckte mit den Schultern. »Die meisten sind gestorben, als sie noch klein waren. Nur der Hans und die Lisl haben den zehnten Sommer erlebt. Doch die Lisl hat vor ein paar Jahren die Pest geholt, und der Hans ist mit einem Haufen Dragoner als Trommler davongezogen.« Er seufzte. »Seit dem Tod meiner Frau ist mir nur der stumme Matthias geblieben. Er ist beinahe so etwas wie ein Sohn für mich.«
»Schimpfen tust du ihn jedenfalls, als wär’s dein eigener.« Magdalena grinste. »Ein strammer Bursche. Wenn ich nicht schon verheiratet wär, könnt ich glatt schwach werden.«
»Dann hast du einen Mann, der gar nicht mehr redet.« Michael Graetz stand abrupt auf und wischte sich die Hände an der Schürze ab. »Ich muss jetzt wieder raus zum Matthias und ihm bei der Arbeit helfen. Und du solltest jetzt wirklich zu deinem Simon gehen und diesen leidigen Streit beenden. Heb dir das Schimpfen für später auf, ihr habt gerade Wichtigeres zu bereden. Ich hab solang ein Auge auf deine Kinder.« Er dachte einen Augenblick nach. »Wenn dein Vater heute nicht wieder auftaucht, gib mir Bescheid«, sagte er schließlich. »Der Matthias und ich, wir kennen ein paar Leute im Dorf, denen wir vertrauen können. Dann machen wir uns gemeinsam auf die Suche. Ich mag ein ehrloser Schinder sein, aber meine Familie lass ich nicht im Stich.«
»Das weiß ich, Michael, hab Dank.« Magdalena drückte ihm lächelnd die Hand. Auf einmal kam sie sich schäbig vor, dass sie vorher davon gesprochen hatte, ihre Kinder würden etwas Besseres werden.
Mit einem letzten Nicken wandte sie sich zum Ausgang und eilte den schmalen Dorfweg auf das Kloster zu, das im Licht der untergehenden Sonne wie ein riesiger schwarzer Scherenschnitt aufragte. Noch war es nicht ganz dunkel, und Magdalena beschleunigte ihre Schritte, um vor Anbruch der Nacht im Hospital anzukommen. Dabei sah sie sich immer wieder ängstlich um; die Schatten der Bäume, die den Pfad säumten, schienen nach ihr zu greifen. Sie rannte den Berg hinauf, bis sie schließlich atemlos die äußeren Mauern um das Kloster erreichte.
Hier, zwischen den von der Reise müden Pilgern, die ihren Schlafunterkünften zustrebten, fühlte sie sich wieder einigermaßen sicher. Morgen, am Dreihostienfest, würde auf dem Heiligen Berg so viel los sein wie im gesamten Jahr nicht. Schon jetzt lag eine freudige Erwartung in der Luft. Es roch nach frischgebackenem Brot und Gebratenem, einige der kleineren Händler bauten unten an der Klostermauer noch ihre Stände auf, eine weitere Gruppe Wallfahrer zog mit Fackeln vom Kiental kommend in Andechs ein.
Als Magdalena die offene äußere Pforte passiert hatte und sich nach rechts zum Hospital wandte, spürte sie plötzlich, wie sich ihr jemand von hinten näherte.
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