Der Hexer und die Henkerstochter
um.
»Lass uns jetzt zum Graetz gehen und schlafen«, sagte er und half ihr aus der Kirchenbank. »Morgen ist das Dreihostienfest. Ich weiß nicht, warum, aber ich bin mir sicher, dass dieses Fest mit all den merkwürdigen Vorkommnissen zusammenhängt. Als hätte der Hexer allein auf diesen Tag gewartet.«
»Dann ist es bestimmt besser, wenn wir ausgeruht sind.« Magdalena drückte seine Hand, und gemeinsam traten sie hinaus in die kühle Nachtluft vor der Elisabethkapelle.
»Ich werde morgen noch mal mit dem Andechser Abt reden«, sagte sie und blickte hinauf in den sternenlosen Himmel. Wolken hatten sich vor den Mond geschoben, irgendwo krächzte ein Käuzchen. »Ich glaube, er mag mich. Vielleicht hilft uns Pater Maurus doch noch bei der Suche nach dem wahren Täter, auch wenn nun klar ist, dass sein Bruder nicht mehr lebt.« Plötzlich hielt sie inne.
»Hörst du das auch?«, fragte sie ihren Mann. »Dieses klingelnde Geräusch?«
Simon lauschte kurz, dann schüttelte er ungläubig den Kopf. »Da ist nichts, nur der Wind und dein eigenes ängstliches Herzklopfen.« Lachend zog er Magdalena weg von der Kapelle, dem Kloster mit seinen erleuchteten Fenstern zu. »Komm endlich, du siehst ja schon hinter jedem Baum Gespenster!«
Irgendwo tief unter ihnen zog der Automat seine ewig gleichen Bahnen. Wenn Simon weniger laut gelacht hätte, hätte er die Musik vielleicht auch vernommen.
Der Prior duckte sich tief auf dem Rücken des Pferdes und ritt die einsame dunkle Landstraße zurück nach Andechs.
Heulend fuhr ihm eine Böe durch die wenigen Haare seiner Tonsur, jenseits des Sees grollte Donner, und ein Wolf heulte in der Ferne, doch Pater Jeremias hörte nichts von alledem. Zu sehr war er in Gedanken versunken. Die Befragung von Frater Johannes hatte nicht die gewünschte Wirkung erbracht. Der Weilheimer Scharfrichter hatte dem Unglückswurm drei weitere Fingernägel gezogen, die Daumen gequetscht, ihn auf den sogenannten Spanischen Reiter gesetzt und Johannes’ Körper schließlich an den nach hinten gebogenen Armen mit einer Seilwinde in die Höhe gezogen. Aber der störrische Mönch hatte nicht gestanden. Er hatte seine Gebete gemurmelt und immer wieder von einem Jakob gefaselt, der ihm helfen würde. Pater Jeremias war sich nicht sicher, wen er damit meinte. Der heilige Jakob war der Schutzpatron der Wallfahrer. Glaubte der einfältige Narr wirklich, von diesem Heiligen Unterstützung zu bekommen?
In den Abendstunden hatten sie die Befragung schließlich abgebrochen. Immerhin war morgen das im ganzen Deutschen Reich bekannte Andechser Dreihostienfest. Die christliche Nächstenliebe verbot es einfach, jemandem an einem solchen Tag die Nägel herauszureißen. Sie würden wohl oder übel übermorgen weitermachen müssen.
Fluchend hieb der Prior dem schwarzen Rappen seine Fersen in die Seite und trieb ihn zur Eile an. Es gab noch jede Menge vorzubereiten! Der Abt hatte ihm gestern früh mitgeteilt, dass er die Messe anlässlich des Festes ihm, Jeremias, überlassen würde. Der Prior lächelte schmal. Offenbar hatte der Alte bereits akzeptiert, dass hier demnächst ein anderer das Sagen hatte. Umso wichtiger war es, dass Frater Johannes endlich gestand! Nicht nur, weil der Weilheimer Landrichter dem Prior deutlich gemacht hatte, dass eine erfolgreiche Befragung Voraussetzung für die Berufung zum Abt war, sondern auch, weil Jeremias einen Sündenbock brauchte. Diese leidige Sache musste so schnell wie möglich aus der Welt geschafft werden! Viel zu viel war schon herumgeschnüffelt worden, dieser Schongauer Bader raubte ihm den letzten Nerv. Zudem hatte Pater Benedikt ihm berichtet, dass ein falscher Mönch die Klosterkammern durchsucht hatte und nun auch der Plan verschwunden war. Der so lange gehütete geheime Plan, der sich seit Jahrhunderten im Besitz des Klosters befand! War ihnen vielleicht schon jemand auf die Spur gekommen? Der Prior hatte einen schrecklichen Verdacht.
Das Wolfsheulen erklang nun näher, und Pater Jeremias begriff erst jetzt, dass er in Gefahr war. So wie es sich anhörte, musste es ein ganzes Rudel sein, das hier in den Wäldern rund um Andechs sein Unwesen trieb. Grimmig fasste der Prior in die Zügel und schlug dem Pferd auf die Hinterbacke. »Hü! Lauf, du alte Mähre, wenn dir dein Leben lieb ist!«
Jeremias beugte sich tiefer über den Sattel, um dem Wind so wenig wie möglich Widerstand zu bieten und schneller voranzukommen. Wenn er erst Abt war, würde er Männer
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