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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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ausschicken, die mit diesen Bestien im Wald endgültig aufräumten! Und auch im Kloster würde einiges anders werden. Jeremias träumte schon lange davon, den alten Bau abzureißen und geschickte Handwerker aus Wessobrunn oder von jenseits der Alpen zu beauftragen, ihm ein neues Kloster zu schaffen – größer, imposanter, so wie es die benachbarten Klöster Steingaden und Rottenbuch vorgemacht hatten. Es durfte nicht sein, dass der Heilige Berg aussah wie eine sturmgeschleifte Ruine aus dem Großen Krieg! Doch dafür brauchte man Geld, viel Geld. Der Prior lächelte.
    Geld würde schon bald kein Problem mehr sein. Nur noch ein paar Jahre, dann würde sein Traum endlich in Erfüllung gehen. Wenn nicht irgendetwas Unvorhergesehenes dazwischenkam und man ihr kleines Versteck entdeckte …
    Schon allein deshalb musste Johannes gestehen – zum Wohle der Kirche. Damit endlich wieder Ruhe herrschte.
    Die Wölfe waren jetzt so nah, dass Pater Jeremias ihre Augen in der Nacht leuchten sah. Er spürte, wie das Pferd unter ihm zitterte, sein Fell troff vor Schweiß. Es lief im schnellsten Galopp, doch schon bald ging es den steilen Berg hinauf durch das Kiental, und der Gaul musste seinen Schritt verlangsamen. Die Wölfe holten auf, immer lauter konnte der Prior sie hinter sich heulen und hecheln hören.
    Mit einem wilden Schrei drehte sich Pater Jeremias plötzlich um, zog eine elfenbeinverzierte Steinschloss­pistole unter seiner Kutte hervor und drückte ab. Ein Blitz zuckte durch die Dunkelheit, begleitet von einem lauten Krachen und Jaulen. Die Wölfe blieben zurück.
    Schwer atmend steckte der Prior die Pistole wieder ein und konzentrierte sich ganz auf den Weg vor sich. Zwischen den Bäumen war es jetzt so dunkel, dass er kaum die heruntergefallenen Äste auf dem Boden sehen konnte. Jeremias zitterte. Der Weilheimer Landrichter hatte ihm die Waffe samt Pulver und Kugeln erst gestern zugesteckt, ein persönliches Geschenk, das das Band zwischen ihnen festigen sollte. Nie hätte der Prior gedacht, dass er die Pistole so schnell benützen würde. Doch nun, da er das kalte Eisen des Laufs wieder unter seiner Kutte spürte, merkte er, dass ihm das Schießen Spaß gemacht hatte.
    Er hatte … Lust dabei gespürt. Das kühle Gewicht, der Rückstoß, der gequälte Schrei des Wolfs …
    Erneut griff Jeremias nach der Pistole und sah sich um, doch die Wölfe waren verschwunden.
    Schade.
    Endlich, nach einer halben Ewigkeit, tauchten vor ihm die Lichter der Häuser unterhalb des Klosters auf. Der Andechser Prior trieb sein Pferd ein letztes Mal an und erreichte schließlich schweißüberströmt die äußere Pforte, wo ihm der Pförtner mit einem ergebenen Nicken öffnete.
    Nachdem Jeremias abgestiegen war, wanderten seine Hände noch einmal zu der kühlen Waffe zwischen seinen Beinen. Er lächelte und schlug geistesabwesend ein Kreuz.
    Vielleicht würde er die Pistole schon bald wieder gebrauchen können.

Sonntag, der 20. Juni Anno Domini 1666,
mittags in Andechs
    urz vor dem Zwölfuhrläuten versammelten sich die Wallfahrer auf dem Platz vor der Klosterkirche. Viele von ihnen waren schon im Morgengrauen gekommen, zwischen den dicht gedrängten Menschen schimmerten buntgeschmückte Fahnen mit den Wappen von Städten und Dörfern.
    Simon stand eingezwängt zwischen einigen blassen, übermüdeten Münchnern und einer Schar Pilger aus Augsburg, die im schwäbischen Dialekt eine schier unendliche Zahl von Vaterunsern und Ave-Marias herunterleierten. Mittlerweile mussten sich über tausend Wallfahrer auf dem kleinen Platz befinden, und von unterhalb des Klosters drängten weitere die schmale Gasse hinauf. Immer wieder schauten die Pilger empor zum Erker der Klosterkirche, wo der Menge gegen Mittag die Heiligen Drei Hostien präsentiert werden sollten.
    Neben Simon stand gähnend Jakob Kuisl. Wie so oft hatte er die halbe Nacht mit Nachdenken im Wald verbracht und war erst in den frühen Morgenstunden ins Schinderhaus zurückgekehrt. Der Henker trug seinen schwarzen Mantel und versuchte sich zwischen all den Gläubigen so klein wie möglich zu machen – was an­gesichts seiner Körpergröße von über sechs Fuß ein ziem­lich hoffnungsloses Unterfangen war. Trotzdem hatte ­Simon ihn nicht davon abhalten können, die sogenannte ­»Weisung«, also das Vorzeigen der Hostien, zu besuchen. Später wollten sie noch gemeinsam zur Messe und sich dann, wenn Pilger und Mönche gemeinsam mit der Monstranz um die Kirche zogen, der

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