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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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Kinder!
    Immer wieder rief sie nach ihnen, mehrmals glaubte sie hinter einem Busch oder einem bewachsenen Gitter einen huschenden Schatten zu sehen, doch immer, wenn sie durch die Pflanzen griff, war da nichts, nur weitere Gitter und Büsche, bis zu den Mauern am Ende des Gartens. Magdalena rannte hinüber zu der Grotte, wo die Statuen der alten Götter stumm im Kreis standen. Doch auch hier waren ihre Kinder nicht.
    Schließlich eilte sie zum Gatter, öffnete es und lief hinaus auf die Blumenwiese. Noch immer tönten vom Kloster her die sanften, einlullenden Gesänge der Gläubigen, nun untermalt von der hohen schrillen Stimme eines einzelnen Mönchs. Die Weisung der Heiligen Drei Hostien näherte sich dem Ende.
    »Peter! Paul! Mein Gott, sagt doch was!«
    Magdalena blickte wild umher, sie versuchte zwischen den vielen hohen Blumen und wilden Ähren auf der Wiese die kleinen Kinderköpfe auszumachen; sie schrie und tobte, Tränen der Verzweiflung und der Angst rannen ihr übers Gesicht.
    Doch ihre Kinder blieben verschwunden.
    Endlich, nachdem sie sich ein letztes Mal nach dem verfluchten Garten umgeblickt hatte, lief sie hinüber zum Kloster. Sie musste ihren Mann und ihren Vater finden! Vielleicht konnten sie ihr helfen. Vielleicht waren die beiden Kleinen nur hinüber zur Kirche gelaufen, um ihren Großvater zu suchen. Vielleicht würde doch noch alles gut werden.
    Vielleicht.
    Doch tief in ihrem Inneren spürte Magdalena, dass ihre Kinder verloren waren.
    Simon stolperte über einen Sack Mörtel, den die Hand­werker auf dem vor Menschen überquellenden Kirchplatz liegen gelassen hatten; hinter ihm ertönten noch immer die wütenden Rufe Karl Semers.
    »Halt, stehen bleiben! Haltet die beiden auf, das sind ehrlose Lügner und Scharlatane!«
    Der Medicus hielt den Atem an. Die vielen Pilger um ihn herum wirkten ratlos. Gerade eben noch waren sie ganz bei ihrem Gott gewesen, nun brach die Wirklichkeit in Gestalt zweier Flüchtender über sie herein, die sich mühsam einen Weg durch die Menge bahnten. Ungefähr zwanzig Schritte vor sich konnte Simon zwischen all den Wallfahrern den bärtigen Kopf des Schongauer Scharfrichters ausmachen. Aufgrund seiner Körpergröße kam Jakob Kuisl schneller voran als der schmächtige Medicus. Der Henker schob die verdutzten Umstehenden einfach wie Ähren zur Seite. Simon hörte die Leute erstaunt rufen und schreien, doch keiner machte Anstalten, den Hünen aufzuhalten.
    »Kuisl, wartet auf mich! Himmelherrgott, so wartet doch!«
    Simon fluchte leise, während er sich aufrichtete und einen stämmigen Gesellen zur Seite drängte, der ihm den Weg versperrte. Neben ihm schrie eine Frau laut auf, weil ihr der Rosenkranz aus der Hand gefallen war.
    »Verzeihung, ich wollte nicht …« Simon setzte zu einer Entschuldigung an, als ihm der Geselle bereits eine Maulschelle verpasste.
    »Frecher Wicht, was fällt dir ein, meine Verlobte zu schubsen!«, knurrte der breitschultrige Mann und wollte den Medicus am Kragen zu sich herziehen. Doch Simon wich geschickt aus und fand in der Menge eine schmale Gasse, durch die er hindurchschlüpfen konnte. Entsetzt erkannte er, dass der Abstand zu seinem Schwiegervater noch weiter gewachsen war. Jakob Kuisl hatte mittlerweile den Rand des Kirchplatzes erreicht und war eben im Begriff, durch das kleine Gatter hinunter ins Kiental zu fliehen.
    »Kuisl, so wartet doch!«
    Atemlos hetzte Simon an einer Gruppe Landshuter Pilger vorüber. Dabei rempelte er den betenden Anführer mit seiner Fahnenlanze um, so dass dieser schreiend zu Boden ging. Die bestimmt dreißig Pfund schwere, reichbestickte Fahne fiel auf zwei alte Weiber und bedeckte sie wie ein großes Bettlaken. Aus dem Augenwinkel sah der Medicus, wie die beiden Frauen jammernd versuchten, sich von dem schweren Tuch zu befreien.
    Endlich hatte Simon die Klostermauer erreicht, die den Kirchplatz vom Wald trennte. Er blickte sich um und bemerkte erleichtert, dass auch die beiden Semers Mühe hatten, sich einen Weg durch die dicht stehende Menge zu bahnen. Schon wollte er aufatmen, als er von rechts zwei der Andechser Jäger auf sich zurennen sah. Die Büttel hatten sich gegen den Weg quer über den Platz entschieden und waren an dessen Rand entlanggeeilt, wo die Menschen nicht ganz so zahlreich waren. Nun kamen die Männer Simon grinsend entgegen. Einer hatte bereits seine Armbrust gezückt, der andere hielt den Spieß drohend gesenkt.
    »Im Namen des Klosters, auf der Stelle stehen bleiben!«, rief

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