Der Hexer und die Henkerstochter
einen gangbareren Weg zu ihm hinunter suchten.
Simon zögerte. Sollte er seinen Schwiegervater wirklich im Stich lassen? Auf der anderen Seite – eine große Hilfe war er ihm hier unten ohnehin nicht. Außerdem hatte Kuisl recht. Sie mussten unbedingt Magdalena warnen! Nach diesem Vorfall würde man wohl auch bald nach ihr suchen. Vielleicht waren die Semers schon auf dem Weg ins Schinderhaus? Magdalena hatte gesagt, dass sie sich dort alle nach der Messe wieder treffen sollten.
Ein letztes Mal blickte Simon auf den zerschundenen, verkrümmten Körper des Andechser Jägers vor ihm. Er bückte sich, schloss dem Leichnam die Augen und sprach ein kurzes Gebet.
Dann rannte er durch das schattige Tal, vorbei an Tannen, Buchen und steilen Felsen. Er hatte vor, das Kloster in einem weiten Bogen zu umrunden und so über einen Umweg Andechs und das Schinderhaus zu erreichen. Vielleicht war es noch nicht zu spät!
Um seinen Schwiegervater machte sich Simon am wenigsten Sorgen. Das war nicht der erste Kampf des Henkers. Eher war zu befürchten, dass Jakob Kuisl just in diesem Moment noch ein paar weitere Todsünden beging.
Wie ein von der Meute gestellter Bär stand der Henker auf dem mannshohen Felsen und versuchte sich die Jäger mit Fußtritten vom Leib zu halten.
Als Simon den Abhang hinuntergerutscht war, hatte es nur noch Sekunden gedauert, bis die Büttel erschienen waren. Sie mussten bereits irgendwo in der Nähe gewesen sein und Simons Schrei gehört haben. Nun umringten drei von ihnen den Fels und hieben mit ihren Spießen auf Kuisl ein; der vierte Jäger war zurück Richtung Kloster gerannt. Der Henker vermutete, dass er Verstärkung holte.
Während er immer noch um sich trat, sah er aus dem Augenwinkel, wie einer der Jäger seinen Spieß weglegte und zu der kleinen Armbrust an seiner Seite griff. Kuisl fluchte leise. Hier oben auf dem Felsbrocken war er für den Schützen ein leichtes Ziel; der Mann würde ihn wie einen waidwunden Eber niederschießen. Doch der Henker hatte keine Zeit, lange darüber nachzudenken. Bereits im nächsten Augenblick kletterte ein anderer Büttel mit einem Dolch zu ihm empor.
Vorsichtig richtete sich der Mann auf dem mit glitschigem Moos bewachsenen Stein auf und holte mit seinem Hirschfänger aus, um ihn Kuisl in die Seite zu rammen. Der Henker wich aus, packte den Büttel an der Taille und hob ihn schreiend als lebenden Schutzschild in Richtung des Armbrustschützen. Im gleichen Moment rauschte der Bolzen auf ihn zu und traf den wild um sich schlagenden Mann in der Schulter. Der Henker zuckte zusammen, als er ein Reißen in Höhe der Taille spürte. Kurz glaubte er, auch ihn habe ein Bolzen getroffen. Doch dann wurde ihm klar, dass er sich nur verhoben hatte. Wahrscheinlich würde er nach diesem Kampf noch tagelang sein Kreuz spüren.
Verflucht , dachte er, ich werd langsam zu alt für so einen Schmarren. Sollen sich doch die Jüngeren mit Bütteln, Räubern und wahnsinnigen Mördern herumplagen!
Kuisl ließ los, der verletzte Wachmann fiel vor ihm zu Boden und rutschte von dort auf den nur einen Schritt entfernten Abgrund zu. Krampfhaft krallten sich seine Finger in den Fels, doch der poröse Bruchstein gab bröckelnd nach. Einen letzten Augenblick noch konnte der Henker das entsetzte Gesicht des Verletzten sehen, dann fiel der Mann mit einem gellenden Schrei in die Tiefe.
Bei Gott, ich schwöre, das habe ich nicht gewollt! , fuhr es Kuisl durch den Kopf. Nur wird mir das leider keiner glauben.
Mit lauter Stimme schrie Kuisl Simon unten in der Schlucht zu, auf dem schnellsten Weg zu Magdalena zu laufen, um sie zu warnen. Er hatte keine Ahnung, ob ihn der Medicus überhaupt hörte und ob er nicht vielleicht verletzt oder sogar tot war. Vorhin hatte Simon noch kurz etwas gerufen, seitdem hatte Kuisl nichts mehr vernommen. Doch für weitere Erklärungen war keine Zeit mehr. Der Armbrustschütze unten auf dem Pfad kurbelte bereits erneut an seiner Waffe. Kuisl schätzte, dass er in wenigen Sekunden die Sehne gespannt hatte.
Brüllend sprang der Henker vom Felsen und warf sich den drei Männern entgegen, die instinktiv zurückwichen. Diese kleine Verzögerung verschaffte ihm die nötige Zeit, um die Angreifer hinter sich zu lassen und den Pfad zurück Richtung Kloster zu laufen. Ein weiterer Bolzen zischte knapp über seinem Kopf vorbei, dann hatte Kuisl die Wegbiegung erreicht und war für kurze Zeit außerhalb der Sichtweite seiner Verfolger.
Der Pfad vor ihm war
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