Der Hexer und die Henkerstochter
der Wachmann mit der Armbrust.
Simon kümmerte sich nicht darum. Er machte schnell kehrt und lief auf das Gatter zu, durch das eben noch Jakob Kuisl verschwunden war. Ein leises Surren erklang, kurz darauf schlug direkt über ihm ein Bolzen in einem der Bäume ein.
Und das alles nur, weil mein störrischer Schwiegervater mal wieder nicht auf mich hören wollte! , dachte er grimmig. Jetzt werden wir vermutlich beide als falsche Mönche gesucht! Der Weilheimer Scharfrichter braucht sich zurzeit wirklich nicht über zu wenig Arbeit zu beklagen.
Simon schlüpfte durch das offene Gatter und wandte sich nach rechts, wo der Pfad unterhalb der Klostermauer entlanglief. Schon bald tauchte vor ihm die kleine Elisabethkapelle auf, links führte ein Abhang steil hinab ins waldige Kiental. Simon sah sich um und erkannte mit Entsetzen, dass ihm die Jäger gefolgt waren. Mittlerweile waren es sogar vier von ihnen, die ihm mit langen Schritten nachsetzten.
Der Pfad verlief immer weiter am Rande der Schlucht, rechts von Simon breiteten sich Äcker und Felder aus. Wo sollte er hin? Wenn er hinaus ins offene Gelände rannte, würden ihn die Jäger wie einen Hasen abschießen, doch der Weg in den Wald war ihm durch die Schlucht versperrt. Sollte er also auf diesem Pfad weiterlaufen? Vermutlich würden ihn die Büttel schon nach kurzer Zeit einholen. Im Gegensatz zum schmächtigen Schongauer Medicus machten sie einen äußerst kräftigen, durchtrainierten Eindruck. Die Jagd schien ihnen sogar Spaß zu machen. Simon hörte sie hinter sich lachen und johlen.
»Schaut, wie er rennt!«, erklang es erschreckend nah. »Wie ein Kaninchen, wie ein kleines ängstliches Kaninchen! He, bleib stehen, du Wicht! Wir kriegen dich sowieso!«
Der Weg machte nun eine Biegung, und für kurze Zeit waren die Jäger aus Simons Blickfeld verschwunden. Verzweifelt sah er sich nach einem Versteck um, als plötzlich eine Hand hinter einem Felsen am Rande der Schlucht hervorschoss und ihn unsanft am Kragen packte. Hilflos mit den Händen rudernd, wurde Simon hinter einen mannshohen Brocken aus Bruchstein gezogen.
»Verflucht, was soll …«, konnte er gerade noch rufen, dann schnürten ihm haarige Finger den Hals zu.
»Halt dein Maul und hör auf, so rumzuzappeln. Du strampelst mehr als ein Ziegenbock!«
Simon entspannte sich, als er die Stimme seines Schwiegervaters erkannte. Der Schongauer Henker kauerte hinter dem schroffen Felsen, der gefährlich nahe am Abgrund stand. Nur ein paar Fingerbreit davon entfernt fiel die steile, von schiefen Bäumen und Gebüsch bewachsene Schlucht gut zwanzig Schritt in die Tiefe. Noch immer hielt Kuisl Simon von hinten umklammert, doch das war diesem angesichts des Abgrunds zu seinen Füßen nur recht.
»Hab ich Euch nicht gesagt, Ihr sollt Euch von der Hostienweisung fernhalten?«, keuchte Simon, während er auf dem schmalen Sims Fuß zu fassen versuchte. »Jetzt werden wir beide gesucht. Ich weiß wirklich nicht, wie ich mich aus dieser Geschichte, mmmhhh …«
Der Henker hielt ihm die Hand vor den Mund, als die Schritte der Büttel plötzlich ganz nahe erklangen. In monotonem Rhythmus tönten sie auf dem Weg, Simon konnte den Atem der Jäger hören, und für einen kurzen Moment fühlte er sich wirklich wie ein gehetztes Wild. Doch dann waren sie vorüber, und schon wenig später war nur noch das Zwitschern der Vögel zu hören.
Jakob Kuisl hatte die Augen geschlossen. Schließlich wandte er sich leise an Simon.
»Das waren nur zwei«, flüsterte er. »Wahrscheinlich suchen uns die anderen beiden hinter den übrigen Felsen am Wegesrand. Nicht mehr lange, und sie sind hier. Wir müssen also wohl oder übel runter.«
»Runter?« Simon sah den Henker entsetzt an. Dann deutete er auf die Schlucht, die steil in die Tiefe abfiel. »Ihr meint dort runter?«
»Natürlich, du Schafskopf. Wo denn sonst? Es ist nicht so schlimm, wie es aussieht. Überall sind kleine Bäume, an denen man sich festhalten kann.«
Simon musste an seinen gestrigen Aufenthalt auf dem Fenstersims des Grafen denken. Offenbar würde er sein Schicksal noch ein weiteres Mal herausfordern müssen. Der Medicus war zwar ein guter Schwimmer, und auch enge, unterirdische Gänge bereiteten ihm keine allzu großen Schwierigkeiten. Doch große Höhen hatten ihm schon immer Angst eingejagt. Und diese Höhe hier war besonders groß.
»Das … das sind mindestens sechzig Fuß«, gab er zu bedenken und starrte argwöhnisch hinunter ins Dunkle, wo
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