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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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meinem Seelenleiden endlich geheilt!« Er lachte leise. »Ich begann Automaten zu bauen für diese tumben Mönche, Spielzeug für ihre Gärten, damit sie sich daran ergötzten. Ich erschuf dieses höllisch brennende ­Pulver, schmiedete lautlose Musketen, die allein mit der Kraft der Luft ihre Kugeln verschossen, zwitschernde Vögel aus Metall … Alles nur, um nicht an sie denken zu müssen. Und endlich, als mich der Wahnsinn schon beinahe ausgehöhlt hatte, hatte ich den rettenden Einfall! Ich schuf mir eine neue Aurora! Aus den Tiefen meiner Erinnerungen baute ich einen Automaten, der ihr aufs Haar glich!«
    Langsam begann Virgilius im Takt der Musik den Kopf zu wiegen, dann bewegten sich auch seine Beine. Der kleine bucklige Mann tanzte humpelnd durch den Raum, er fasste die Puppe bei den Armen und vollführte mit ihr kleine Drehungen wie bei einem höfischen Reigen.
    »Eins und zwei, eins und zwei …«, sang er im Takt mit.
    Simon spürte währenddessen, dass die Lähmung tatsächlich ein klein wenig nachgelassen hatte. Wenn er sich anstrengte, konnte er sogar wieder ein paar seiner Finger bewegen. Heimlich bog er seine Glieder und hoffte, dass der verrückte Uhrmacher nichts davon mitbekam.
    Als die Bewegungen und die Melodie des Automaten endlich langsamer wurden und schließlich ganz aufhörten, machte Virgilius vor Aurora eine höfische Verbeugung und seufzte traurig.
    »Ja, ich weiß, Elisabeth«, sagte er mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Das ist nichts weiter als Mummenschanz. Du sagst, du lebst nicht, und dieser schlaue Bader weiß das natürlich auch. Aber soll ich dir sagen, was er nicht weiß?« Er zwinkerte Simon zu, der mittlerweile auch seinen rechten Arm wieder ein bisschen bewegen konnte.
    »Was er nicht weiß, ist, dass wir ein Mittel gefunden haben, dich zum Leben zu erwecken!«, flüsterte Virgilius verschwörerisch. »Dieser hässliche Apotheker hat mich darauf gebracht. Es sind die Blitze! Ja, die Blitze! Schon in den alten Büchern steht geschrieben, dass sie der Finger Gottes sind. Lange habe ich nach einer Kraft gesucht, die dir Leben einhauchen kann! Und endlich, endlich hatte ich sie gefunden!« Virgilius schloss die Augen und faltete die Hände wie zum Gebet.
    »Was sagst du, Elisabeth?«, stieß er plötzlich hervor. »Dieser dumme Apotheker hat nicht weit genug gedacht? Es fehlt noch etwas, um dir Leben einzuhauchen?« Virgilius legte den Kopf schräg, als lausche er andächtig den Worten seiner Geliebten. »Ich soll diesem Bader wirklich unser größtes Geheimnis verraten?« Ein kurzes hysterisches Kichern brach aus ihm heraus. »Weil er es ja ohnehin nicht weitersagen kann? Da hast du natürlich recht.«
    Mit respektheischender Miene hinkte Virgilius nun hinüber zur linken Seite des Raumes. Mittlerweile konnte Simon seinen Kopf so weit drehen, dass er dort in der Ecke eine Art kleinen steinernen Altar erkennen konnte. Auf ihm stand nichts weiter als ein einzelnes Trinkglas mit einem Goldrand, in dem sich drei winzige bräunliche Scheiben befanden.
    Die Heiligen Drei Hostien! , durchfuhr es Simon. Er hat sie tatsächlich aus der Monstranz gestohlen und hierhergebracht!
    »Ich habe die Wolken beobachtet, liebste Aurora«, sagte Virgilius und pflückte mit spitzen Fingern die harten Oblaten aus dem Glas. »Das Wetter ist heute mehr als günstig für uns. So kurz nach dem Dreihostienfest, das ist ein gutes Zeichen! In dieser Nacht endlich wird sich der Glaube mit der Wissenschaft vereinigen.« Virgilius warf seiner steif grinsenden Geliebten einen schmachtenden und zugleich tieftraurigen Blick zu. »Und dann kehrst du zurück zu den Lebenden. Das Warten hat ein Ende.«
    Die Finger des Uhrmachers zerkrümelten die Hostien zu Pulver, das als feiner Staub in das Glas rieselte.
    Über dem Ammersee ballten sich Gewitterwolken zu großen schwarzen Klumpen. Sie schoben sich vom Westen her über das Wasser, schon griffen die ersten wie mit langen dunklen Fingern nach dem Kloster. Obwohl es erst sechs Uhr abends war, lag eine Düsternis über dem Berg, die alles Leben verstummen ließ. Die Vögel hatten sich tief unter die Zweige verkrochen, die Füchse und Dachse kauerten in ihren Höhlen, selbst die Wölfe zogen die Schwänze ein und pressten sich ängstlich aneinander, so als könnten sie im Rudel das Unheil besser überstehen.
    Hoch oben am Himmel zuckten erste Blitze. Sie brachten die Wolken zum Leuchten, die mittlerweile zu hohen Türmen angewachsen waren. Das Wasser des Sees lag

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