Der Hexer und die Henkerstochter
»Bist du’s wirklich? Nach all den Jahren! Dann sind meine Gebete tatsächlich erhört worden!«
»Wenn du weiter so laut brüllst, wirst du bald dein letztes Gebet sprechen«, zischte Kuisl. »Sei um Gottes willen still, bevor die beiden Trottel da draußen noch misstrauisch werden.« Ohne weitere Erläuterung begann er monoton Wortfetzen vor sich hin zu murmeln.
»Ventram porcinum. Bene exinanies, aceto et sale, postea aqua lavas, et sic hanc impensam imples …«
Nepomuk Volkmar stutzte. »Warum sagst du ein lateinisches Kochrezept für Schweinemägen auf?«
»Weil mir gerade nichts anderes Lateinisches einfällt, du Schafschädel«, flüsterte Kuisl. »Das stammt aus einem alten zerfledderten Wälzer von meinem Dachboden. Die Wachen denken, ich nehm dir die Beichte ab, also halt gefälligst den Mund.«
Er murmelte noch eine Weile vor sich hin, wobei er immer leiser wurde und schließlich ganz verstummte. Ein breites Grinsen zog sich über sein Gesicht.
»Du bist nicht schöner geworden in den letzten dreißig Jahren«, sagte Kuisl schließlich und drückte seinen Freund an die breite Brust.
»Und du nicht dünner«, ächzte Nepomuk. »Wenn du weiter so zulangst, brauch ich keine Streckbank mehr.« Er senkte den Kopf, und ein leises Schluchzen war zu hören. »Aber was soll’s? Wenn nicht bald etwas passiert, ist es ohnehin besser, wenn du mich auf der Stelle zerquetschst.«
Jakob Kuisl ließ ihn los und setzte sich auf eine umgekippte Holzkiste. »Du hast recht«, brummte er. »Wir haben nicht viel Zeit für alte Erinnerungen. Das holen wir später, wenn dies alles hier vorbei ist, bei einem Glas Wein nach. Einverstanden?« Lächelnd winkte er Nepomuk zu sich her. »Erzähl mir lieber, was passiert ist. Aber denk dran, wenn ich dir helfen soll, muss ich die ganze Wahrheit erfahren. Bis jetzt kenn ich die Geschichte nur von meiner Magdalena, und die trägt gern ein bisserl dick auf.«
In kurzen Worten fasste Kuisl zusammen, was ihm seine Tochter und Simon heute Mittag berichtet hatten. Dann sah er seinen Freund auffordernd an.
»Sag, Nepomuk«, knurrte er. »Hast du mit diesen Morden was zu schaffen? Du weißt, es ist keine Schande zu töten. Wir beide haben das oft genug gemacht. Aber immer war dabei das Gesetz auf unserer Seite.« Sein Gesicht verdüsterte sich. »Das Gesetz oder der Krieg.«
»Glaub mir, Jakob, ich bin unschuldig! Jedenfalls an den zwei Morden.« Ächzend ließ sich Nepomuk auf dem Boden nieder und zog die Beine ganz nahe an seinen Körper heran. »Ich weiß nicht, wer die beiden Novizen auf dem Gewissen hat. Aber ich habe eine düstere Ahnung, was der Grund für ihren Tod gewesen sein könnte.«
»Dann red endlich, oder ich spann dich eigenhändig auf die Streckbank.«
Der Frater raufte sich die wenigen Haare und atmete tief durch. Schließlich begann er zu erzählen, während Jakob Kuisl schweigend zuhörte.
»Frater Virgilius und ich haben uns in den letzten Jahren oft unterhalten«, flüsterte Nepomuk. »Wir sind so etwas wie Freunde geworden, wahrscheinlich, weil wir die gleiche Leidenschaft teilen. Nämlich das Forschen an unbekannten Dingen, das Nichthinnehmen von ungeprüften Wahrheiten.« Der Mönch lächelte verträumt, dann fuhr er fort: »Hat nicht Gott selbst befohlen, wir sollten uns die Erde untertan machen? Doch dafür müssen wir sie zuerst verstehen. Schon damals im Krieg habe ich in mein Büchlein immer Notizen gemacht, erinnerst du dich? Über die Sprengkraft von Schießpulver, das richtige Abstützen von Schanzgräben, ein Fallbeil zum schmerzlosen Enthaupten … Leider hat sich keiner für meine Pläne interessiert.«
»Warst zwar ein lausiger Henker, aber dafür ein schlauer Kopf«, warf Jakob Kuisl grinsend ein. »Nur eben ein bisserl zu verträumt fürs Töten. Hättest einen guten Studiosus an einer Universität abgegeben, aber leider hat der liebe Herrgott andere Pläne mit dir gehabt.«
Nepomuk Volkmar nickte. »Verfluchte Henkerei! Ich hab geglaubt, der Krieg würde die Menschen gleich machen. Aber dann war ich doch wieder nur ein räudiger Scharfrichter, so wie mein Vater und Großvater vor mir!« Er seufzte tief. »Als ich dann hier im Andechser Kloster unterschlüpfen konnte, schien ich endlich am Ziel meiner Träume zu sein. Meine Arbeit als Apotheker erlaubte es, dass ich mich auch anderen Studien widmen konnte.« Nepomuk dämpfte seine Stimme und sah sich verschwörerisch um. »Vor allem den Studien der tonitrua et fulgura .«
»
Weitere Kostenlose Bücher