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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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Gestalt in der Kutte, dann nickte er.
    »Gut, gut«, murmelte er gedankenverloren. »Wir können in der Tat jede Hilfe gebrauchen.«
    »Äh, Bruder Jakob würde auch gern an den Messen teilnehmen und die Bibliothek besuchen«, hakte Simon nach. »Er hat schon viel über Eure Bücher gehört. Da sollen ja wahre Schätze darunter sein. Ist es nicht so, Jakob?« Er schielte hinüber zu seinem Schwiegervater und gab ihm einen kleinen Stoß mit dem Fuß, doch der Henker schwieg stoisch weiter. »Nun, wie auch immer …«, fuhr Simon schließlich fort, »ist es ihm gestattet, die Klosterräume zu betreten? Ihr habt mein Wort, dass …«
    »Natürlich. Und nun lasst mich bitte alleine.« Maurus Rambeck hatte sich schon wieder seinen Büchern zugewandt. Mit der Hand machte er eine Bewegung, als würde er eine lästige Fliege verscheuchen. »Ich habe zu tun. Viel zu tun.«
    »Ganz wie Ihr wünscht.«
    Simon verbeugte sich, nicht ohne einen letzten Blick auf die Seiten des Buches zu werfen, das aufgeschlagen vor dem Abt lag. Doch alles, was er erkannte, war, dass es in einer seltsamen, krakeligen Schrift verfasst war. Die Buchstaben waren verwischt und schienen vor sehr langer Zeit niedergeschrieben worden zu sein. Als der Abt bemerkte, dass Simon immer noch vor ihm stand, klappte er es abrupt zu.
    »Ist noch etwas?«, schnarrte Rambeck.
    »Nein, nein … Ich war nur ein wenig verträumt.« Simon zog den immer noch schweigenden Jakob Kuisl zur Tür. »Ich melde mich, sobald ich eine neue Spur habe. Gehabt Euch wohl solange.« Er verbeugte sich ein letztes Mal, bevor sich die schwere hohe Eichenholztür hinter ihnen wieder schloss.
    Draußen auf dem Gang atmete der Medicus kurz durch, dann wandte er sich zornig an seinen Schwiegervater.
    »Als ich Euch bat, als Mönch die Augen offen zu halten, war mir nicht klar, dass Ihr gleich ein Schweigegelübde ab­gelegt habt«, zischte Simon. »Gott sei Dank war der Abt viel zu nervös, um sich über einen taubstummen Franziskaner zu wundern.«
    »Wieso taubstumm?«, brummte Jakob Kuisl. »Du hast doch genug für zwei geredet.« Er runzelte die Stirn. »Aber du hast recht. Irgendetwas stimmt mit diesem Pfaffen nicht. Hast du das Buch auf seinem Tisch gesehen, das er so schnell vor unseren Blicken verbergen wollte?«
    Simon nickte. »Ja, aber leider konnte ich die Buchstaben nicht entziffern.«
    »Es war Hebräisch«, erwiderte der Henker kurz angebunden. »Die alte Sprache der Juden. Ich hab ein solches Buch mal in den Händen gehabt. Was der Abt wohl darin gesucht hat?«
    »Nun, Maurus Rambeck ist dafür bekannt, dass er die alten Sprachen studiert«, warf Simon ein. »Er war lange Jahre an der Salzburger Benediktineruniversität. Vielleicht haben wir ihn wirklich nur bei der Arbeit gestört.«
    »Ha, Arbeit! So wie der ausgesehen hat, steht ihm das Wasser bis zum Hals. Der war blass wie vor der eigenen Hinrichtung. Bei so was kenn ich mich aus.« Jakob Kuisl stieg eilig die Treppe hinab, wobei er tunlichst darauf achtete, nicht auf den Saum seiner Kutte zu treten. »Und jetzt komm schon, bevor Hochwürden es sich noch anders überlegt und mit uns die Abendmesse lesen will.«
    »Wo … wo wollt Ihr denn so schnell hin, Kuisl?«, flüsterte Simon und hastete dem Henker hinterher.
    »Na, wohin schon?« Jakob Kuisl drehte sich kurz um, in der Schwärze unter der Kapuze konnte Simon einen Moment lang seine Augen funkeln sehen. »Zum hässlichen Nepomuk natürlich. Schließlich haben wir uns seit dreißig Jahren nicht mehr gesehen. Und du schaust dir in der Zwischenzeit noch einmal die beiden Leichen an. Vielleicht findest du ja was, was dir bis dahin noch nicht aufgefallen ist.«
    Kuisls Finger kneteten die Perlen des Rosenkranzes, als wären es Daumenschrauben. »Ich schwör dir, ich werd rausfinden, wer meinen Freund zum Sündenbock machen will«, sagte er leise. »Und bei Gott, dann kann derjenige froh sein, dass ich nicht der Scharfrichter dieses Gaus bin, sondern nur ein Henker im lausigen Mönchskostüm.«
    Mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze stapfte Jakob Kuisl auf die alte Klostermeierei zu, wo sein Freund Nepomuk noch immer gefangen gehalten wurde. Mittlerweile war die Sonne nur noch ein roter Ball, der westlich des Ammersees in den Wolken versank, und die Luft wurde mit einem Mal unan­genehm frisch, so dass der Henker unter der dünnen Kutte zu frösteln begann. Zum wiederholten Male verfluchte Kuisl seinen Schwiegersohn für dessen Idee, auch wenn er mittlerweile

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