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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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insgeheim zugeben musste, dass der Plan sogar aufgehen konnte. Nun, spätestens jetzt würde sich zeigen, wie viel Simons Einfall wirklich wert war.
    Vor dem Eingang zur Meierei lungerten zwei Wachen, denen Kuisl ansah, dass sie sonst einem anderen Beruf nach­gingen. Vermutlich waren es klösterliche Jäger, die man zum Wachdienst abkommandiert hatte. Gekleidet in grüne Umhänge lehnten sie an ihren Musketen und starrten gelangweilt hinauf in den klaren Himmel, wo soeben der Abendstern aufging. Fackeln brannten in eisernen Körben links und rechts der Tür. Als die beiden Wachleute den Henker kommen hörten, schreckten sie zusammen und nahmen Haltung an.
    »Wer da?«, rief der eine von ihnen, ein feister Mann mit beginnender Glatze.
    »Der Herr sei mit euch und erleuchte euren Weg«, brummte Jakob Kuisl und kam sich im nächsten Augenblick selten dämlich vor. Ihm war, als wäre das Wort ›Henker‹ auf seiner Stirn eingebrannt. Doch die beiden Wachen entspannten sich und nickten ihm freundlich zu.
    »Seid gegrüßt, Pater«, antwortete der Dicke. »Und danke für Euren Segen. Wobei ein Hühnerschlegel auch recht hilfreich wäre.« Er kicherte leise, dann blickte er auf Kuisls weiße Kordel, und sein Lachen verstummte. »Augenblick mal. Ihr seid …«
    »Ein wandernder Franziskanermönch, in der Tat«, vollendete der Henker den Satz. »Der unselige Bruder dort drinnen verlangt nach der Beichte. Der Abt selbst hat mich hergeschickt.«
    »Ach, und warum macht das keiner unserer Mönche?«, warf der jüngere der beiden Wachmänner ein. In seinen Augen glitzerte Argwohn. »Und außerdem, wer seid Ihr überhaupt, hä? Ich hab Euch hier noch nie gesehen.«
    »Weil ich eben ein wandernder Franziskanermönch bin, du vernagelter Trottel!«, zischte Jakob Kuisl. Er schloss kurz die Augen, weil er merkte, dass er aus der Rolle fiel. Die Wachleute sahen sich erstaunt an.
    »Glaubt ihr denn wirklich, einer der Benediktiner würde der armen Kreatur dort drinnen die Beichte abnehmen?«, fuhr Kuisl sanfter fort. »Vergesst nicht, er hat drei ihrer Mitbrüder auf dem Gewissen! Aber ihr könnt gern zum Abt laufen und nachfragen.« Er deutete auf das erleuchtete Zimmer im zweiten Stock des Klosters. »Ich war gerade eben erst bei ihm. Bruder Maurus brütet wie so oft über seinen alten Büchern. Aber sprecht nicht so laut mit ihm. Hochwürden hat heute starke Kopfschmerzen.«
    »Das … das geht schon in Ordnung«, meldete sich nun der Dicke und klopfte seinem Freund beruhigend auf die Schulter. Offenbar hatte er keine Lust darauf, einen vielbeschäftigten, kopfwehgeplagten Abt mit neugierigen Fragen zu löchern. »Wir stehen ja draußen vor der Tür«, murrte er. »Wirst den Unhold schon nicht wegzaubern.« Er lachte unsicher, dann schob er den schweren Holzriegel zur Seite und ließ den Henker an sich vorbei. Jakob Kuisl griff sich eine der Fackeln von der Wand und schlurfte in den dunklen Kerker.
    »Der liebe Herrgott segne euch«, brummte er. »Und schiebt euch eure Musketen in den Arsch, ihr naseweisen Drecksbüttel«, fügte er so leise hinzu, dass ihn die Wachen draußen nicht mehr hören konnten.
    Kaum hatte er den Raum betreten, schlug dem Henker der beißende Geruch alten Käses entgegen, vermischt mit dem Gestank von Urin und weiterem Unrat. In Regalen an der Wand stapelten sich zerfranste Körbe, darunter kauerte eine zusammengekrümmte Gestalt in einer zerrissenen Kutte. Als der hässliche Nepomuk das Geräusch des zuschnappenden Riegels hörte, schrak er auf und erhob sich mühsam. Noch immer war sein Gesicht geschwollen von den vielen Schlägen, die ihm seine Verfolger verabreicht hatten. Mit seinem gesunden Auge blinzelte er den Ankömmling an, doch wegen der plötzlichen Helligkeit schien er zunächst nicht viel erkennen zu können.
    »Schickt ihr mir jetzt schon den Beichtvater?«, krächzte er. »Dann sparen wir uns also den leidigen Prozess, ja? Gut so, dann komm ich wenigstens nicht auf die Streckbank, bevor ihr mich verbrennt.«
    »Keiner wird dich auf die Streckbank legen«, flüsterte Jakob Kuisl. »Und brennen wird ein anderer. Dafür sorg ich schon.«
    »Wer … wer seid Ihr?« Nepomuk Volkmar richtete sich nun ganz auf. Mit seiner zerschürften Hand schirmte er das Gesicht gegen die Helligkeit ab, so dass er die riesige Gestalt des Franziskaners vor sich erkennen konnte. Plötzlich schlug der Mönch seine Kapuze zurück, und Nepomuk stieß einen leisen Schrei aus.
    »Mein Gott, Jakob!«, keuchte er.

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