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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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Tonitrua et fulgura? Des Gewitters, meinst du?« Jakob Kuisl runzelte die Stirn. »Was gibt’s da schon groß zu forschen?«
    Der Frater lachte leise, es klang wie das Gemecker eines alten Ziegenbocks. »Ha, weißt du, wie oft der Blitz hier auf dem Heiligen Berg einschlägt? Weißt du das? Bis zu einem Dutzend Mal im Jahr! Wenn die Menschen Glück haben, glimmen nur ein paar Schindeln, aber oft steht ein ganzes Gebäude in Flammen oder eben der Kirchturm. Vor zwanzig Jahren ist hier sogar mal ein Kugelblitz wie der Leibhaftige durch die Kirche gesaust! Nur der Herrgott alleine hat verhütet, dass Schlimmeres geschehen ist.« Nepomuks Stimme überschlug sich nun fast. »Die Mönche hier läuten eine Glocke, damit das Gewitter vorbeizieht und einen anderen Ort trifft, sie beten und singen, aber noch nie hat sich jemand Gedanken gemacht, wie man den Blitz wirklich bannen kann. Bannen!«
    »Bannen?«, erwiderte der Henker skeptisch. »Nun klingst du wirklich wie ein Hexer, Nepomuk.«
    Der Frater schüttelte eifrig den Kopf. »Du verstehst nicht, Jakob. Man muss den Blitz unschädlich machen, indem man ihn mit Eisen anzieht. Das ist keine Hexerei, sondern die erwiesene Wahrheit. Schon die Pharaonen aus der Bibel wussten das, ich habe es selbst in alten Pergamenten gelesen! Wir haben es nur vergessen!«
    Ein Lächeln spielte über Kuisls Lippen. »Deshalb also die Eisenstangen, die du im Wald bei dir hattest! Magdalena hat mir davon erzählt.«
    »Ich hab sie bei Gewitter immer an einzelnen erhöhten Punkten aufgestellt. Es funktioniert, Jakob! Der Blitz schlägt immer in sie ein!« Nepomuk war jetzt von seiner eigenen Rede so gebannt, dass er aufgesprungen war und nur mühsam seine Stimme bändigen konnte. »Nur noch ein paar Experimente, dann wäre ich am Ziel gewesen! Ein paar Tage vor der schrecklichen Feuersbrunst in der Kirche habe ich deshalb solche Eisenstangen oben im Turm befestigt. Ein Draht führte von dort bis hinunter zum Friedhof. Ich war mir sicher, dass ich den Blitz so in die Erde bannen könnte. Aber leider …« Der Frater brach ab und kauerte sich entmutigt auf den schmutzigen Boden.
    »Leider hast du dabei die ganze Kirche angezündet, du Esel«, fuhr Jakob Kuisl fort. »Kein Wunder, dass deine Mitbrüder nicht gut auf dich zu sprechen sind.«
    Nepomuk schüttelte den Kopf. »Sie … sie ahnen nur etwas, aber sie wissen es nicht. Nur Virgilius habe ich von dem Experiment erzählt. Er war sofort hellauf begeistert und hat mich ständig mit Fragen gelöchert. Meinte, es gäbe jemanden, dem meine Studien sehr helfen würden. Als er vor zwei Tagen wieder davon anfing, hab ich ihn kurzerhand rausgeworfen. Ich hatte einfach Angst, dass der Abt die Wahrheit herausfinden könnte. Virgilius hat getobt und gezetert.«
    »Der Streit zwischen dir und dem Uhrmacher.« Kuisl nickte. »Ich hab davon gehört. Deshalb glauben die Mönche auch, dass du mit seinem Verschwinden was zu tun hast. Außerdem hat man dein Okular bei ihm gefunden.«
    »Bei Gott, ich schwöre, ich weiß nicht, wie das dort hingekommen ist! Vielleicht habe ich es irgendwo liegen gelassen, und jemand hat es dann bei Virgilius als Köder aus­gelegt.« Nepomuk Volkmar bedeckte mit beiden Händen sein geschwollenes Gesicht, sein ganzer Körper zitterte. »Und mit Virgilius’ Verschwinden habe ich auch nichts zu tun! Mein Ehrenwort!«
    »Und dieser verfluchte Automat?«, hakte Kuisl nach. »Meine Tochter meinte, sie hätte ihn irgendwo in den Tiefen des Klosters gehört. Weißt du etwas davon?«
    Nepomuk zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nur, dass dieser Automat Virgilius’ liebstes Spielzeug war. Wenn ihn jemand gestohlen hat, muss er seinen Erbauer tatsächlich vorher umgebracht haben. Freiwillig würde Virgilius seine Aurora niemals herausrücken.« Verzweifelt rang er die Hände. »Irgendjemand will mir Böses, Jakob! Du musst mir helfen! Ich habe Angst, Angst wie noch nie in meinem Leben! Du weißt selbst, was mir droht, wenn man mich der Hexerei überführt. Sie werden mich erst hängen, dann ausweiden und vierteilen, und schließlich meine blutigen Reste in die Flammen werfen.« Er sah den Henker hoffnungsvoll an. »Bevor es so weit kommt, verschaff mir wenigstens einen kurzen, sauberen Tod. Versprochen?«
    »Keiner stirbt hier, wenn ich es nicht will«, knurrte ­Jakob Kuisl. »Mein Schwiegersohn hat mir erzählt, dass sie mit dem Prozess bis nach dem Dreihostienfest warten wollen, um die Pilger nicht zu verunsichern. Wir haben

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