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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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stand statt eines Fasses ein abgewetzter Holztisch, auf dem zwei in weißes Tuch gehüllte Bündel lagen. Simon atmete noch einmal tief durch, dann steckte er die Fackel in einen Felsspalt und schlug das erste Laken zur Seite.
    Der Gestank war so heftig, dass er sich einen Moment lang wegdrehen musste, um sich nicht zu übergeben. Schließlich wendete er sich wieder der Leiche zu.
    Es war Coelestin, der Gehilfe des Apothekers, den der Medicus schon vor zwei Tagen näher in Augenschein genommen hatte. Mittlerweile hatte sich die Totenstarre wieder gelöst; dort wo das Blut abgesackt und geronnen war, befanden sich überall violette Flecken. Doch die Wunde am Hinterkopf war noch immer gut zu erkennen. Simon war sich nach wie vor sicher: Der Gehilfe war von einem Un­bekannten niedergeschlagen und dann unter Wasser gedrückt worden.
    Nachdem er nichts weiter Auffälliges entdecken konnte, zog der Medicus auch das zweite Tuch zur Seite. In der Zwischenzeit hatte er sich an den Gestank einigermaßen gewöhnt, doch der Anblick des toten Uhrmachergehilfen ließ ihn trotzdem erschauern. Der einst so schöne Vitalis sah aus, als hätte ihn der Höllenhund persönlich in den Klauen gehabt. Sein Kopf war in einem unnatürlichen Winkel zur Seite gebogen, die Haut am Rücken und an den Beinen fast vollständig verkohlt, die rechte Hand so verbrannt, dass einige der Finger offensichtlich schon abgefallen waren. Noch immer ging von der Leiche ein beißender Brandgeruch aus.
    Simon fragte sich, welche Macht ein solches Feuer entfacht hatte. Bei einer Hinrichtung auf einem Scheiterhaufen vor gut zehn Jahren hatte der Medicus schon einmal eine verkohlte Leiche gesehen, doch damals war der auf Kindsgröße zusammengeschrumpelte Körper überall gleichmäßig verbrannt gewesen. Hier hatte das Feuer offensichtlich nur am Rücken, am Gesäß und an der hinteren Fläche der Oberschenkel gewütet. Simon beugte sich über die verbrannten Stellen und klopfte mit dem Finger auf das harte, schwarze Fleisch.
    Plötzlich stutzte er. In einigen Hautritzen fanden sich Spuren eines weißen Pulvers, dessen Herkunft er sich nicht erklären konnte. Simon schabte mit dem Fingernagel daran und hielt sich die Krümel vors Gesicht. Angeekelt rümpfte er die Nase. Das Pulver roch nach altem Knoblauch.
    War etwa doch Hexerei im Spiel? Konnte so etwas möglich sein?
    Als der Medicus den teils verbrannten Kopf noch einmal abtastete, entdeckte er nach einer Weile eine Delle im Schädel, beinahe an der gleichen Stelle wie bei dem armen ­Coelestin. Simon zögerte. War der Uhrmachergehilfe etwa auf die gleiche Weise erschlagen worden? Oder hatte er sich die Wunde bei einem Sturz zugezogen? War Vitalis vielleicht durch einen Hieb getötet worden, bevor dieses dämonische Feuer über ihn hergefallen war?
    Gerade wollte Simon die Verletzung näher in Augenschein nehmen, als plötzlich die Fackel aus der Felsritze rutschte und zischend auf den nassen Boden fiel. Ein letztes Flackern erhellte das Gewölbe, dann war der Keller in absolute Dunkelheit getaucht.
    »Verflucht!«
    Simon tastete blind nach dem Tisch, um nicht die Orien­tierung zu verlieren. Seine Hand berührte den kalten Körper des Apothekergehilfen, und unwillkürlich wich er zurück. Er trat einen hastigen Schritt nach hinten, kam ins Stolpern und schlug mit dem Kopf hart an ein Bierfass. Sein Sturz dröhnte durch die Stille, dann war es wieder so still wie auf dem Grunde eines Sees.
    Simon spürte, wie sein Herz schneller schlug. Er war sich sicher, dass er den Weg zurück an die Oberfläche auch ohne Fackel finden würde. Trotzdem verursachte ihm der Gedanke, mit zwei Leichen allein in einem stockfinstren Keller zu sitzen, ein leichtes Flattern in der Magengegend. Er stand vorsichtig auf und wollte sich gerade an den Fässern entlang zum Ausgang tasten, als er verstört innehielt.
    Eine der beiden Leichen leuchtete.
    Es war der Körper des jungen Vitalis, von dem ein merkwürdig grünliches Glimmen ausging. Es war so schwach wie das Leuchten von Glühwürmchen, trotzdem verlieh es der Leiche einen unheimlichen Schimmer, der Simon die Haare zu Berge stehen ließ.
    Hin- und hergerissen zwischen Angst und Faszination starrte der Medicus auf den leuchtenden Toten, als plötzlich von jenseits des Tisches ein grollendes Rumpeln ertönte. Es klang, als würde sich irgendwo im Berg ein steinerner Golem erheben.
    Das war zu viel für Simon. Er taumelte einige Schritte nach hinten, dann drehte er sich entsetzt

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