Der Hexer und die Henkerstochter
als habe sich seine Prophezeiung erfüllt. Weiß der Himmel, was dieses Geschöpf mit dem armen Vitalis und seinem verschwundenen Meister angestellt hat!« Er schlug ein hastiges Kreuz und verbeugte sich. »Es ist schon spät, bis zur Laudes sind es nur noch ein paar Stunden. Wollen wir hoffen und beten, dass diese Hexerei bald ein Ende hat. Gott sei mit Euch!« Mit dem letzten Satz wandte der Novizenmeister sich ab und verschwand in der Nacht.
Magdalena sah seinem Schatten noch eine Weile nach, dann schritt sie eilig den steilen Klosterweg hinunter Richtung Dorf. Inständig hoffte sie, dass Simon in der Zwischenzeit heimgekehrt war. Dieses Kloster wurde ihr immer unheimlicher, und in ihrem Kopf ertönte noch lange die leise Melodie des Automaten.
Ein schrilles, nicht enden wollendes Glockenspiel.
Eine halbe Stunde später waren alle drei Kuisls ins Haus des Schinders zurückgekehrt. Gemeinsam saßen sie nun in der geheizten Stube und brüteten vor sich hin. Der Henker hatte sich seine dritte Pfeife angesteckt, und der Tabak qualmte mit dem feuchten Ofenfeuer um die Wette. Kuisls Vetter Michael Graetz war von seinem Wirtshausbesuch noch nicht wieder da, und sein stummer Geselle schien verschwunden, obwohl Magdalena ihn gebeten hatte, auf die Kinder aufzupassen. Ein Umstand, der den dreien sehr gelegen kam. Schließlich gab es einiges zu besprechen.
»Blitzexperimente?«, fragte Simon ungläubig. »Euer Freund Nepomuk hat tatsächlich an Blitzen geforscht?«
Jakob Kuisl nickte und nahm einen tiefen Zug von seiner Pfeife. Noch immer trug er die dreckige Mönchskutte, die ihm wie ein nasser Sack am Körper klebte. Sie schien ihn gehörig zu jucken. »Er wollte die Blitze bannen«, brummte er schließlich, nachdem er sich ausgiebig gekratzt hatte. »Keine so blöde Idee, wenn ihr mal überlegt, wie oft allein in unserem schönen Schongau schon der Blitz eingeschlagen hat. Vom Kirchturm hat Nepomuk einen Draht hinunter zum Friedhof gelegt, und dann ist tatsächlich der Blitz hineingefahren. Leider ist dabei gleich der ganze Turm in Brand geraten.«
»Moment mal«, warf Magdalena ein. »Dort oben war vorgestern zwar so ein Draht, aber auch eine merkwürdige Bahre. Doch die war verschwunden, als ich heute Nacht noch einmal hinaufgegangen bin. Nur der Draht hing noch von der Decke.«
Sie hatte Simon noch auf dem Heimweg getroffen und bislang darauf verzichtet, ihm und ihrem Vater von dem heruntergefallenen Kalksack zu erzählen. Mittlerweile wusste sie selbst nicht mehr, ob ihre ständige Angst vor Anschlägen nur ein Hirngespinst war. Jetzt, im hellen Licht der Schinderstube, kam ihr alles nur noch wie ein ferner Spuk vor.
»Vielleicht stammt diese Bahre im Glockenstuhl ja wirklich nicht von Nepomuk, sondern von einem Unbekannten, der sich dessen Idee zu eigen gemacht hat«, überlegte Simon.
Magdalena runzelte die Stirn. »Und wer sollte das sein?«
»Was weiß ich?«, erwiderte Simon ratlos. »Der ganze innere Klosterrat macht einen ziemlich verdächtigen Eindruck. Vor allem der Abt selbst. Dein Vater und ich haben ihn dabei ertappt, wie er in einem Beschwörungsbuch über Golems gelesen hat.« Angestrengt wedelte er den Tabakqualm zur Seite. »Wer auch immer es ist, wir kommen zu spät. Dieser Unbekannte hat offensichtlich sämtliche Beweise entfernt, weil ihm der Boden unter den Füßen zu heiß wurde. Und nun …« Simon hustete, dann wandte er sich zornig an seinen Schwiegervater. »Verdammt, Kuisl!«, schimpfte er. »Könnt Ihr nicht einmal diese leidige Raucherei lassen? Wer soll denn bei all dem Qualm nachdenken können?«
»Ich zum Beispiel«, knurrte der Henker. »Solltest es auch mal probieren, dann wär dir einiges klarer. Gerade jetzt hab ich wieder ein paar hervorragende Gedanken.« Er grinste und nahm einen besonders tiefen Zug. »Nepomuk hat mir nämlich erzählt, dass Virgilius von so einem Unbekannten gesprochen hat. Es gäbe da jemanden, der sich für die Blitzexperimente interessieren würde, meinte er.«
»Der Abt!«, rief Magdalena dazwischen. »Vielleicht braucht er zur Erschaffung des Golems ja einen gewaltigen Blitz, und Virgilius sollte ihm dabei helfen?«
Der Henker spuckte in die Binsen. »Schmarren! So einen Golem gibt es nicht. Ich glaube an hartes Eisen, an eine gut geknotete Galgenschlinge und an die Bosheit der Menschen, aber nicht an einen Mann aus Lehm. Das sind nichts weiter als die Gräuelgeschichten irgendwelcher Pfaffen, um den Menschen Angst zu machen.« Er
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