Der Hexer und die Henkerstochter
schüttelte störrisch den Kopf. »Leider können wir Virgilius nicht mehr zu diesem seltsamen Unbekannten befragen, weil er sich nämlich in Feuer und Rauch aufgelöst hat.«
»Ähm, apropos Feuer.« Simon räusperte sich. Er zögerte eine Weile, bevor er weitersprach: »Bitte haltet mich nicht für verrückt, aber ich habe da eine sehr seltsame Entdeckung gemacht. Langsam beginne auch ich an Hexerei zu glauben.« Stockend berichtete er den anderen von seinem seltsamen Erlebnis mit dem glimmenden Toten im Andechser Bierkeller und von seiner eigenen überstürzten Flucht.
»Du sagst, es war ein weißes Pulver, und die Leiche hat grünlich geleuchtet?«, fragte Jakob Kuisl schließlich.
Simon nickte. »Es war ein ganz leichtes Glimmen, so wie von Glühwürmchen. Ich kann mir einfach keinen Reim darauf machen.«
»Aber ich«, erwiderte der Henker trocken. »Ich hab von so einem Phänomen schon mal gehört.«
»Und?« Simon richtete sich neugierig auf. »Was ist es?«
Jakob Kuisl grinste seinen Schwiegersohn an. »Ha, was nur? Ich fürchte, dafür hab ich heut eindeutig zu wenig geraucht. Mein Kopf arbeitet zu langsam, und leider darf ich ja hier drin nicht mehr qualmen …« In aller Seelenruhe fischte er eine Laus unter seinem Gewand hervor und stopfte sie in die Glut seiner Pfeife, wo sie knackend zerplatzte.
»Vater, lass den Schmarren und sag uns endlich, was du weißt!«, zischte Magdalena. »Sonst steck ich’s der Mutter, dass du schon bei deiner dritten Pfeife bist.«
»Schon gut, schon gut.« Der Henker winkte ab. »Es ist vermutlich Phosphor.«
»Phosphor?« Simon sah seinen Schwiegervater ungläubig an. »Was in drei Teufels Namen ist Phosphor?«
» Phosphorus mirabilis. Ein Stoff, den erst vor kurzem ein Apotheker in einer Stadt namens Hamburg entdeckt hat, du nichtsnutziger Studiosus«, blaffte Jakob Kuisl. »Hättest wohl doch noch ein wenig an der Ingolstädter Universität bleiben sollen.« Er lehnte sich selbstzufrieden zurück und sog an seiner Pfeife. »Eigentlich hat dieser Apotheker ja wie so viele andere den Stein der Weisen gesucht. Aber herausgekommen ist ein leuchtender Stoff, eben phosphorus . Ich hab in einem meiner Bücher von Athanasius Kircher davon gelesen. Im Dunkeln leuchtet er leicht grünlich, aber er hat auch noch eine andere, äußerst tödliche Eigenschaft.«
»Und die wäre?«, fragte Magdalena.
Der Henker verschränkte die Arme vor der breiten Brust. »Nun, er brennt wie Zunder. Es reicht, wenn man ihn in der Sonne liegen lässt. Wenn Phosphor einmal Feuer gefangen hat, ist er nicht mehr zu löschen, und er hinterlässt grauenhafte Wunden.«
»Soll das heißen, der arme Vitalis ist mit diesem … diesem Phosphor übergossen worden?«, flüsterte Simon. »Aber warum nur?«
»Vielleicht, weil jemand will, dass die Andechser Pfaffen an Hexerei glauben?«, knurrte Jakob Kuisl. »Hast du nicht selbst gesagt, dass dieser Vitalis einen eingeschlagenen Schädel hatte? Vermutlich hat ihn jemand auf ganz herkömmliche Weise umgebracht und dann mit Phosphor bestreut, um seinen Tod wie Hexenwerk aussehen zu lassen. Mit Nepomuk hat man dann schnell einen Sündenbock gefunden.«
»Und sein Okular?«, gab Simon zu bedenken. »Es hat immerhin am Tatort gelegen.«
»Jeder hätte es dort hinlegen können«, unterbrach ihn Magdalena. »Mein Vater hat recht! Ein verschwundener Automat, ein vom Erdboden verschluckter Uhrmacher, ein bestialisch verbrannter Gehilfe – das alles sollte wie ein Werk Satans aussehen. Vielleicht einfach, um Angst zu schüren? Wenn ihr mich fragt, dieser Unbekannte hat ziemlich dick aufgetragen. Seitdem steht ganz Andechs kopf.« Sie zögerte kurz. »Fragt sich nur, welchen Nutzen jemand hat, wenn hier unter den Pilgern eine Panik ausbricht?«
Durch den Tabakdunst hindurch starrte Simon auf das Kreuz im Herrgottswinkel der Schinderstube. Plötzlich schlug er laut auf den Tisch.
»Ich hab’s!«, rief er.
»Himmelherrgott, Simon!«, zischte Magdalena. »Sei gefälligst leise. Du weckst die Kleinen noch auf!«
»Es muss mit dem Dreihostienfest zusammenhängen!«, sagte Simon, nun mit gedämpfter Stimme. »Jemand will dieses Fest stören. Schon jetzt überlegen sich einige Wallfahrer, wieder nach Hause zu gehen. Sie haben von den schrecklichen Morden gehört und haben Angst vor diesem Automaten, der durch das Kloster schleichen soll. Wenn das so weitergeht, wird das Fest vielleicht gar nicht zustande kommen. Jedenfalls wird es dann keine frohe,
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