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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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längst?
    Als Magdalena unter dem Baugerüst vor dem Haupt­eingang hindurchschritt, nahm sie plötzlich eine Bewegung wahr. Im gleichen Moment fiel etwas Großes, Schweres auf sie herab. Instinktiv sprang sie einen Schritt zur Seite und spürte noch, wie ein formloses Ding ihre rechte Schulter streifte. Es zischte, und ein hüfthoher Sack mit Kalk landete direkt neben ihr auf dem Boden, wo er aufplatzte und seinen Inhalt über den Boden ergoss.
    Alles war so schnell gegangen, dass Magdalena kaum Zeit zum Luftholen geblieben war. Mit klopfendem Herzen lehnte sie an einer Gerüststange und starrte auf den Sack, von dem nun in der mondhellen Nacht eine Staubwolke aufstieg.
    War das etwa wieder nur ein Zufall gewesen? Leise verfluchte sie sich dafür, dass sie in der Dunkelheit durch die Kirche geschlichen war. Verdammt, sie hatte zwei kleine Kinder, die sie brauchten, und sie schnüffelte hier irgendeinem Wahnsinnigen hinterher!
    »Ist alles in Ordnung?«
    Die Stimme war von rechts gekommen, dort, wo der Eingang zur Kirche lag. Ein Mönch näherte sich Magdalena. Erst als er beinahe vor ihr stand, erkannte sie den Novizenmeister Pater Laurentius.
    »Ich habe Lärm gehört«, erklärte er. »Ich hoffe nur, es ist nichts passiert? Ihr seid ja kalkweiß.«
    »Kalk ist das treffende Wort«, ächzte Magdalena und deutete auf den geplatzten Sack zu ihren Füßen. »Dieses Trumm da hätte mich fast erschlagen.«
    Der Pater sah besorgt nach oben. »Muss wohl vom Gerüst gefallen sein. Ich habe schon heute Mittag gesagt, dass man Absperrungen anbringen muss. Als wenn nicht schon genug passiert wäre in letzter Zeit!« Er seufzte, dann blickte er Magdalena streng an. »Ihr solltet Euch um diese Zeit aber auch wirklich nicht mehr auf dem Kirchplatz aufhalten. Was macht Ihr hier überhaupt?«
    Wie bereits gestern Abend in der Kirche fiel Magdalena Laurentius’ feingeschnittenes Gesicht auf. Seine Finger ­waren lang, mit sauberen Nägeln, die in der Dunkelheit matt schimmerten.
    »Ich … ich suche meinen Mann«, stammelte sie. »Es ist der Schongauer Bader, der sich hier um die Kranken kümmert. Ihr habt ihn nicht zufällig gesehen?«
    Sofort veränderte sich das Gesicht des Paters. »Ach, der Bader, der sich unentgeltlich um die kranken Pilger kümmert?«, erkundigte er sich freundlich. »Ein wahrer Christenmensch. Seid gewiss, dafür hat er sich einen Platz im Himmelreich verdient.«
    »Danke, aber ich glaube, die nächsten Jahre würde er gern noch auf Erden wandeln.« Magdalena zog sich das Tuch fester um die Schultern. »Und das ist in Eurem Kloster zurzeit nicht so einfach.«
    Der Pater zuckte zusammen. »Ihr habt recht«, murmelte er zögerlich. »Es sind furchtbare Tage. Zuerst der junge Coelestin und dann …« Seine Stimme brach, und er drehte sich zur Seite.
    »Ihr standet dem Uhrmachergehilfen Vitalis wohl sehr nahe?«, fragte Magdalena besorgt.
    Pater Laurentius nickte mit zusammengebissenen Lippen. Erst nach einer Weile antwortete er: »Ich bin hier der Novizenmeister. Alle meine Zöglinge stehen mir nahe, ich bin für die Ausbildung eines jeden einzelnen verantwortlich.« Laurentius seufzte. »Aber mit Vitalis war es noch etwas anderes. Er war sehr … feinfühlig. Oft hat er mich abends noch besucht und mir seine Sorgen erzählt.« Die langen Wimpern des Paters begannen zu flattern, und Magdalena sah eine einzelne Träne über sein Gesicht rollen.
    »Hatte Vitalis denn Ärger mit seinem Meister?«, erkundigte sie sich neugierig.
    Der junge Mönch zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Zum Ende hin war er sehr verschlossen, irgend­etwas muss vorgefallen sein. Bei unserem letzten Treffen schien er mir etwas beichten zu wollen, aber dann beschloss er, doch zu schweigen. Es war wohl Aurora, die ihm so Angst machte.«
    »Aurora?«
    »Nun, der Automat seines Meisters«, erklärte Laurentius. »Vitalis war der Meinung, die Puppe würde leben. Oft erzählte er mir, dass sie sich in der Nacht von alleine bewegte, zischte und flüsterte, fast wie ein menschliches ­Wesen. Er fühlte sich von ihren Blicken auf Schritt und Tritt verfolgt.«
    Magdalena schüttelte sich. »Eine grauenhafte Vorstellung!«
    »Nicht wahr? Vitalis meinte, die Puppe berge irgendein schreckliches Geheimnis. Am Abend vor seinem grausigen Ende sagte er zu mir: ›Sie wird ihn in den Tod reißen. Ihn und uns alle.‹« Pater Laurentius nickte nachdenklich. »Genau das waren seine Worte: ›In den Tod reißen‹. Nun sieht es ganz so aus,

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