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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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gottgefällige Feier mehr.«
    »Und warum sollte jemand so etwas machen?«, fragte Magdalena skeptisch. »Was hätte er davon?«
    Simon seufzte. »Ich fürchte, dafür wissen wir noch zu wenig von diesem Kloster. Aber das kann sich ändern.« Grinsend zog er den ledernen Band hervor, den er die ganze Zeit unter seinem Rock verborgen hatte. »Ich habe mir diese Chronik aus der Bibliothek, nun ja … ausgeliehen. Vielleicht finden wir darin eine Erklärung. Schließlich sind die Heiligen Drei Hostien die wichtigste Reliquie in Andechs.«
    »Dann lies meinetwegen, ich ruh mich derweil von dieser saublöden Maskerade aus.« Jakob Kuisl zog sich die stinkende, verschwitzte Kutte über den Kopf und warf sie angewidert in eine Ecke. »Ich hoff nur, dass der Mummenschanz bald ein Ende hat.«
    In diesem Augenblick öffnete sich knarrend die Tür, und herein trat ein rotgesichtiger, von Alkoholdunst umwehter Michael Graetz. Der Erlinger Schinder hatte ganz offensichtlich im Wirtshaus ein paar Humpen Bier zu viel getrunken, er schwankte leicht und blickte staunend in die Runde.
    »Zwickt’s mich«, murmelte er schließlich mit schwerer Zunge. »Ich glaub, ich hab gerade noch durchs Fenster einen riesigen Mönch in der Stube gesehen. Und jetzt ist er wie durch Zauberei verschwunden.«
    »Einen Mönch? In deiner Stube?« Der Henker lachte, und nur in Magdalenas und Simons Ohren klang es ein wenig zu laut. »Liebster Vetter, eher steigt ein Pfaffe auf einen Misthaufen, als dass er ehrlosen Häusern wie den unseren einen Besuch abstattet.« Jakob Kuisl deutete auf die abgeschlossene Truhe an der Wand neben dem Herrgottswinkel. »Und nun lass sehen, ob du für deine Familie noch einen Willkommenstrunk hast. Damit sich dein Rausch auch wirklich lohnt.«
    Gedämpftes Licht drang durch die angelehnten Fenster­läden des Schinderhauses, doch die Gestalt draußen auf der vom Nachttau nassen Wiese scheute die Helligkeit und zog es vor, im Dunkeln zu bleiben. Sie strich um die Weißdornbüsche, die das Haus vom Wald trennten, und lugte vorsichtig über die stachligen Zweige.
    Der Mann ballte die Fäuste, so dass die Knöchel weiß hervortraten. Der Meister würde böse sein, sehr böse, denn er hatte ein weiteres Mal versagt! Dabei hatte ihm der Meister heute Mittag noch einmal klargemacht, dass diese neugierige junge Frau den ganzen Plan zunichtemachen konnte. Sie schnüffelte einfach zu viel herum. Und was war schon ein Leben, wenn man dafür viele andere retten konnte?
    Der Mann atmete tief durch, um seine gewohnte Ruhe wiederzufinden. Er hatte im Großen Krieg so viele Menschen sinnlos sterben sehen, dass sich ein Panzer wie von Eis um sein Innerstes gelegt hatte. Nur manchmal spürte er noch etwas. Es war ein Gräuel, dass ihm das gerade mit ihr passieren musste! Vermutlich war es ihre Schönheit, die ihn schwach werden ließ. Oder vielleicht auch ihr Lachen, das gerade jetzt wieder von dem erleuchteten Haus bis zu ihm herüberdrang. Er hatte den Sack Kalk ganz bestimmt auf sie werfen wollen, aber im letzten Moment hatte eine höhere Macht seine Hand ein wenig zur Seite geschoben. Ebenso, wie diese Macht gestern Nacht die Flinte einen Zentimeter nach rechts gedrückt hatte.
    Der Mann hinter den Weißdornbüschen stieß ein leises Wimmern aus. Schon jetzt graute ihm davor, dem Meister vom Scheitern des Attentats zu berichten. Der Herr würde zetern und toben, und was noch schlimmer war: Er würde ihm seine Liebe entziehen.
    Weiter leise vor sich hin jammernd, kroch die Gestalt zurück in den Wald, wo sie schon bald von der Dunkelheit verschluckt wurde.
    Der Mann musste seine Schuld beichten.

Mittwoch, der 16. Juni Anno Domini 1666,
morgens in der Andechser Messe
    ie Franziskanerkapuze tief ins Gesicht gezogen, saß Jakob Kuisl auf einem der hinteren Plätze des Chorgestühls und beobachtete von dort aus die anderen Mönche.
    Leise zischte der Henker einen Fluch, der so gar nicht zu der heiligen Umgebung passen wollte. In den frühen Morgenstunden hatte er sich von Magdalena überreden lassen, die Morgenmesse zu besuchen und die Augen offen zu ­halten. Dieses Teufelsweib hatte seine eigene Sturköpfigkeit geerbt! Nach langem Hin und Her hatte Kuisl schließlich schimpfend klein beigegeben und sich auf einen weiteren Tag in der albernen Maskerade eingelassen. Insgeheim musste er sich ohnehin eingestehen, dass seine Neugier geweckt war. Außerdem ging es um das Leben seines besten Freundes.
    Aufmerksam sah sich der Henker in der

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