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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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die müde Stimme des Abts. Er sah aus, als hätte er mit seinem Leben bereits ab­ge­schlossen und erwarte nun das ewige Feuer der Verdammnis. »Es bringt nichts, wenn wir uns hier gegenseitig Vorhaltungen machen«, fuhr er leise fort. »Wir sollten lieber überlegen, was wir tun, wenn die Hostien bis zum Dreihostienfest in vier Tagen nicht wieder aufgetaucht sind.«
    Der Prior schüttelte den Kopf, als könnte er es immer noch nicht begreifen. »Wie ist das nur möglich?«, jammerte er. »Als wir gestern Abend mit dem Grafen die Reliquienkammer öffneten, war noch alles an seinem Platz. Und nur ein paar Stunden später sind die Hostien verschwunden! Aus einem Raum mit vergitterten Fenstern, der von drei Riegeln mit drei unterschiedlichen Schlüsseln versperrt wurde! Bei Gott, ich schwöre, dass ich den meinen keinen Moment lang aus den Augen gelassen habe.« Er kramte nach einer Kette, die um seinen Hals hing. Daran baumelte ein einzelner Schlüssel. »Sogar im Schlaf trag ich ihn!«
    Nun zog auch der Abt einen Schlüssel unter seiner Kutte hervor. »Das Gleiche gilt für mich«, erklärte er matt. »Wo der Graf seinen Schlüssel aufbewahrt, weiß ich allerdings nicht. Gestern Abend und auch heute Morgen trug er ihn jedenfalls an seinem Gürtel.«
    »Warum habt ihr zwei mit dem Grafen den Raum heute früh überhaupt noch einmal aufgesucht, hä?«, fragte der Bibliothekar. »Eigentlich hätte die Kammer doch bis zum Fest versperrt bleiben sollen.«
    Prior Jeremias seufzte. »Weil es der Graf so wollte. Er meinte, er müsse vor der Messe noch mal beten, und zwar vor dem Allerheiligsten. Wie willst du einem Wittelsbacher diese Bitte abschlagen? Du weißt selbst, dass wir dem Kurfürsten auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind.«
    »Ihr hättet ihn schon gestern nicht in die Kammer lassen sollen!«, schimpfte der Bibliothekar. »Das hat ihn nur auf dumme Gedanken gebracht! Was hat der Graf überhaupt so früh hier verloren? Normalerweise taucht er doch erst zum Dreihostienfest auf!«
    »Das ist in der Tat seltsam«, räumte der Prior ein. »Gestern war es allerdings Maurus’ Idee, die Reliquienkammer noch mal aufzusuchen. Wieso eigentlich, Maurus?«
    »Verflucht! Weil ich das dumpfe Gefühl hatte, dass irgendetwas nicht stimmt«, ertönte die zittrige Stimme des Abts. »Und wie man sieht, hat mich dieses Gefühl nicht getäuscht. Überhaupt, was soll eigentlich diese misstrau­ische Fragerei? Du , Jeremias, kannst doch froh sein, wenn die Hostien verschwunden bleiben! Wenn das hier rauskommt, bin ich meinen Posten als Abt los. Und ich weiß genau, dass du nur darauf wartest, in meine Fußstapfen zu treten.«
    »Verleumdung!«, brauste Prior Jeremias auf. »Nichts als Verleumdung! Wir hätten schon längst den Weilheimer Landrichter rufen sollen. Hier läuft alles aus dem Ruder! Sieh doch endlich ein, dass du die Kontrolle über all diese Vorfälle verloren hast.«
    »Wie kannst du es wagen …«, begann der Abt, doch in diesem Augenblick blieb Jakob Kuisl mit seiner Schulter an einem der vielen Votivbilder hängen und der schwere Rahmen fiel scheppernd zu Boden. Der Henker biss sich auf die Lippen, um nicht laut loszufluchen. Doch der Schaden war nicht mehr gutzumachen.
    »Still!«, zischte der Bibliothekar. »Da draußen ist jemand!«
    »Das ist der Golem!«, jammerte Bruder Eckhart. »O Gott, er kommt, uns zu holen! Das ist unser Ende! Heilige Maria, bitte für uns, jetzt und in der Stunde …«
    »Sei still, du Idiot«, unterbrach ihn der Prior. »Lass uns lieber sehen, was dort draußen vor sich geht.«
    Leise wie ein Schatten löste sich Jakob Kuisl von der Wand und eilte die Treppe hinab, während hinter ihm Schritte ertönten. Schon wenige Augenblicke später war er durch die niedrige Tür geschlüpft und reihte sich wieder unter die Mönche ein, die mittlerweile der Predigt des nervösen Novizenmeisters lauschten.
    Kuisl kniete nieder, faltete die Hände und bewegte lautlos die Lippen, so als würde er ein Gebet murmeln. Doch in seinem Kopf begann es bereits zu arbeiten. Mühsam versuchte der Henker all die Informationen der letzten Viertel­stunde zu einem Ganzen zusammenzusetzen. Wie Fetzen eines Buches flatterten sie durch sein Hirn und entglitten ihm jedes Mal, wenn er glaubte, zwei passende Teile gefunden zu haben.
    Konzentriert nagte Jakob Kuisl an seinen Lippen, seine Zähne schoben sich hin und her wie große Mahlsteine. Zum ersten Mal bedauerte es der Henker aufrichtig, dass Mönche während der

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