Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
Vom Netzwerk:
Wallfahrer miteinander das Laudate Deo, gemeinsam mit den einfachen Mönchen, die sich verwundert ansahen. Offenbar wussten auch sie nicht, was in der Zwischenzeit vorgefallen war.
    Einen kurzen Augenblick noch blieb der Henker sitzen, dann hatte er seinen Entschluss gefasst. Laut hustend und rotzend, erhob er sich, wobei er so tat, als quälte ihn ein plötzlicher Brechreiz. Die Hand vor dem Mund, drängte er sich durch die Reihen der Mönche, die allesamt ängstlich vor ihm zurückwichen. Ein jeder fürchtete mittlerweile, sich bei einem seiner Mitbrüder mit dem Fieber anzustecken. Der unbekannte Minorit schien ebenfalls an der verfluchten Krankheit zu leiden, und nur allzu bereitwillig machte man ihm deshalb Platz.
    Schon nach kurzer Zeit hatte Jakob Kuisl das Ende des Chors erreicht. Soeben schloss sich die kleine Tür hinter dem fetten Cellerar; der Henker eilte zu dem Durchgang, blieb jedoch kurz davor stehen. Just in dem Moment, als die Mönche im Chor zum Gebet niederknieten und die Köpfe senkten, drückte er die Klinke und folgte den vier Kirchenoberen lautlos ins Allerheiligste.
    Kaum hatte Kuisl die Tür hinter sich geschlossen, drang der Gesang der Wallfahrer nur noch dumpf an seine Ohren. Eine einzelne Fackel an der Wand erhellte ein winziges Treppenhaus, in dem uralte durchgetretene Steinstufen nach oben führten. Von dort ertönten die aufgeregten Stimmen der Benediktiner. Sie hallten, so als stünden die Mönche in einem nahe gelegenen Gewölbe.
    Vorsichtig schlich Jakob Kuisl die wenigen Stufen hinauf. An den Wänden des Treppenhauses hingen unzählige gerahmte Bilder, die von wundersamen Errettungen einzelner Wallfahrer kündeten. Der Henker würdigte sie keines Blickes, er lauschte aufmerksam auf die Stimmen vor sich, die jetzt immer näher kamen.
    Plötzlich sah er vor sich einen kleinen Raum mit einer schweren eisernen Tür an der Stirnseite, die zusätzlich durch Nägel und Metallstreben verstärkt war. Drei bunte Wappen prangten in Kopfhöhe des Portals, an der Wand lehnten neben einer Truhe drei eiserne Stangen, die offensichtlich als Riegel dienten. Kuisl konnte an den Seiten der Tür die dazugehörigen Schlösser erkennen.
    Auf Zehenspitzen schlich der Henker die letzten Meter durch den Raum und bemerkte zu seiner Erleichterung, dass die eiserne Tür nur angelehnt war. Durch einen schma len Schlitz konnte er in den Raum dahinter schauen, der von zwei winzigen vergitterten Fenstern nur schemenhaft erhellt wurde. Kuisl hielt den Atem an.
    Vor ihm befand sich tatsächlich die Heilige Kapelle.
    Es handelte sich um eine steinerne, beinahe würfelförmige Kammer, die an drei Seiten mit kleinen Nischen und Regalen versehen war. Darauf standen die unterschiedlichsten Gegenstände – Kelche, Kreuze und Kästchen, teils so sehr verrostet und grün angelaufen, als würden sie schon seit Urzeiten hier liegen. An der Stirnseite befand sich ein kleiner Altar mit einem roten Samttuch, vor dem sich die vier Kirchenoberen versammelt hatten.
    Jakob Kuisl brauchte eine Weile, um zu erkennen, was ihn an dem Bild störte: Der Altar war leer.
    Die Mönche davor schienen in einen heftigen Disput verwickelt zu sein. Sie hoben die Hände, rauften sich die Haare und bekreuzigten sich dabei immer wieder, als gelte es, das Böse zu vertreiben. Gerade ertönte der laute Bass von Pater Eckhart, dem Cellerar.
    »Aber das … das ist unmöglich!«, zeterte er. »Kein Sterb­licher kann die Monstranz mit den Hostien gestohlen haben, nicht aus dieser Kammer!«
    »Und doch ist es geschehen, du Dummkopf!«, erwiderte der Prior. »Also lasst uns gemeinsam überlegen, wie das passiert sein könnte. Und zwar bevor jemand dort draußen etwas mitbekommt. Das hier kann uns alle den Kopf kosten!«
    »An deiner Stelle hätte ich auch Angst um meinen Kopf«, murmelte der alte Bibliothekar. »Schließlich hattest du einen der drei Schlüssel, die es zum Öffnen der Kammer braucht. Nicht wahr?«
    Der Prior lief rot an. Einen Moment lang schien er drauf und dran, dem Greis an die Gurgel zu gehen, dann beließ er es dabei, ihm seinen Zeigefinger in die Brust zu rammen. »Willst du damit sagen, dass ich mit dem Verschwinden der Hostien etwas zu tun habe? Du vergisst, man braucht immer drei Schlüssel, um die Kammer zu öffnen! Die anderen zwei Schlüssel haben Bruder Maurus und der Graf. Glaubst du allen Ernstes, dass wir drei uns zusammengetan haben, um die Hostien zu stehlen? Glaubst du das?«
    »Hört auf, Brüder!«, ertönte nun

Weitere Kostenlose Bücher