Der Highlander und der wilde Engel
ungebärdig“, wandte Will unmutig ein und stutzte, als ihm aufging, wie widersinnig seine Behauptung angesichts des gerade Gehörten war. „Ich meine, du hast dich nie zuvor so gegeben, sondern warst immer sanftmütig und äußerst beherrscht.“
„Weil Mutter darauf bestanden und mir geholfen hat zu lernen, mich im Griff zu haben“, erwiderte sie leise. „Seit damals, als ich versuchte wegzulaufen und dem Wachhauptmann gegen das Schienbein getreten habe. Gleich am folgenden Tag hat sie angefangen, mir Beherrschung beizubringen.“
„Du bist weggelaufen?“ Will sah sie entsetzt an. Es war offenkundig, dass er darüber nichts wusste.
„Wie hat sie Euch Beherrschung beigebracht, Averill?“, fragte Kade ruhig. Einer Fünfjährigen überhaupt etwas beizubringen, war schon schwierig, doch sie dazu zu bringen, ihr eigenes Wesen zu unterdrücken, war so gut wie unmöglich.
„Jedes Mal, wenn ich ungestüm wurde, hat sie mich in ein kaltes Bad gesetzt.“ Sie sprach fast abwesend und ohne jeden Groll ob einer solchen Bestrafung ... und eine Strafe war es ohne Zweifel, dachte er grimmig. Es war ihm unbegreiflich, wie jemand ein Kind dazu zwingen konnte, in kaltem Wasser zu hocken. Abgesehen davon, dass dies gewiss nicht angenehm war, hätte es gefährlich werden können. Wie leicht hätte sie sich dabei erkälten können!
Unvermittelt riss sich Averill das Tuch vom Gesicht und schaute düster zu ihrem Bruder auf. „Jetzt weißt du also, wie wild ich in Wahrheit bin, und hasst mich bestimmt, nicht wahr?“
„Himmel, nein!“, beteuerte Will sofort. „Eigentlich gefällst du mir wild sogar recht gut“, fügte er grinsend an. „Von wem hast du so fluchen gelernt?“
„Von dir“, erwiderte sie trocken und legte sich den Umschlag wieder aufs Gesicht. „Und von den Kriegern auf der Wehrmauer. Sie fluchen in einem fort, und wenn die Fensterläden meines Gemachs offen stehen, bekomme ich alles mit.“
„Hmm, ich werde mich in Zukunft zurückhalten, und auch mit den Männern sollte ich wohl mal ein Wörtchen reden“, murmelte Will, wobei er jedoch eher amüsiert als entrüstet wirkte. „Und? Ist sie dir immer noch zu liebreizend?“, fragte er an Kade gewandt und hob eine Braue.
„Was meinst du damit, zu liebreizend?“, verlangte Averill zu wissen.
Kade betrachtete die junge Frau. Sie hatte das Tuch wieder vom Gesicht genommen und richtete ihre wunderbaren grünen und augenblicklich zornig funkelnden Augen abwechselnd auf Will und auf ihn. Die Haube, die sie für die Begegnung mit Lord Seawell getragen hatte, war heruntergerutscht, als sie sich hingelegte, und ihre Flechten hatten sich zu beiden Seiten ihres Kopfs über das Bett ergossen -feurige Locken, die er nur zu gern in die Hand genommen und sich ans Gesicht gedrückt hätte. Ihre Wangen waren von ihrem Wutausbruch gerötet, und um ihre süßen, weichen Lippen lag ein ungnädiger Zug. Nie hatte sie schöner ausgesehen.
„Nay“, brummte er. „Jetzt will ich sie.“
Will grinste und schlug ihm zufrieden auf die Schulter. „Willkommen in der Familie.“
„Wie bitte?“ Averill richtete sich auf und sah sie verwirrt an. „Was habt ihr ...?“ Abrupt stockte sie, eine Hand auf ihren Bauch gepresst und die andere an den Kopf. Stöhnend schloss sie die Augen und schlug sie kurz darauf wieder auf. „Kann diese vermaledeite Kammer nicht einen Herzschlag lang aufhören, sich zu drehen?“, jammerte sie.
Kade trat ans Bett, drückte sie sanft zurück aufs Laken und bedeckte ihr Gesicht erneut mit dem kühlenden Tuch. „Ruht ietzt. Dann kommt auch die Kammer wieder zum Stehen.“
Sie leistete ihm kurz Widerstand, gab schließlich auf und ließ sich mit einem kläglichen, schwachen Seufzer zurück in die Kissen sinken. „Ich trinke nie wieder etwas.“
Er wartete noch einen Augenblick, doch als sie liegen blieb und einzuschlummern schien, sah er Will an. „Ich werde mit deinem Vater reden.“
„Ich komme mit“, erklärte Will und folgte ihm zum Ausgang. Kade hatte gerade die Tür erreicht und wollte sie öffnen, als vom Bett her Laute an sein Ohr drangen. Er blickte sich um, als Averill gerade hochfuhr und heftig zu würgen begann.
„Ich hole ihre Magd“, verkündete Will und ergriff die Flucht, während Kade zurück zu Averill hastete.
„Da seid Ihr also wieder bei uns.“
Widerwillig schlug Averill ein zweites Mal die Augen auf. Einen Herzschlag zuvor hatte sie die Lider zum ersten Mal blinzelnd geöffnet, nur um sie gleich wieder
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