Der Himmel auf Erden
Mädchen verstand die Frage nicht, oder sie verstand nicht, dass Aneta Djanali sie nicht verstand.
»Kokokoko«, sagte Ellen.
Aneta Djanali schwieg. Sie versuchte nachzudenken.
»Der Onkel hatte ein Radio«, sagte das Mädchen jetzt. Es war näher an Aneta Djanali herangetreten.
»War das Radio in seinem Auto?«
Ellen nickte wieder.
»Hat das Radio gespielt?«
Ellen nickte wieder.
»Wurde ein Lied gespielt?«
Ellen antwortete nicht.
»Hat jemand im Radio gesungen?«, fragte Aneta Djanali.
»Der Onkel hat hässliche Wörter gesagt«, sagte Ellen. Jetzt stand sie ganz nah bei Aneta Djanali, die sich auf den Fußboden gesetzt hatte.
»Hat der Onkel hässliche Wörter zu dir gesagt?«
Ellen schüttelte den Kopf. Aber ihr Gesicht war ernst.
»Wer hat hässliche Wörter gesagt?«, fragte Aneta Djanali.
»Das Radio«, antwortete Ellen. »Das Radio hat hässliche Wörter gesagt?«
Ellen nickte, ernst.
»Hat ein Onkel im Radio hässliche Wörter gesagt?«
Ellen nickte wieder. So was sagt man nicht.
Ein Onkel im Radio sagt hässliche Wörter, dachte Aneta Djanali. Es ist Nachmittag. Jemand sitzt im Radiostudio und sagt hässliche Wörter. Passiert das jeden Tag? Können wir das Programm finden? Und was sind hässliche Wörter für ein Kind? Häufig dieselben wie für uns. Aber die Kinder nehmen sie viel schneller wahr als wir. Ich werde sie jetzt nicht fragen, was das für hässliche Wörter waren.
»Hab Victoria die Ohren zugehalten«, sagte Ellen.
»Victoria hat also nichts gehört?«
Ellen schüttelte den Kopf.
»Hat sie auch nichts zu dir gesagt?«
Jetzt schüttelte sie den Kopf heftiger.
Aneta Djanali nickte.
»Hässliche Wörter«, sagte Ellen.
»Was hat denn der Onkel im Auto zu den hässlichen Wörtern gesagt?«, fragte Aneta Djanali.
Ellen antwortete nicht.
»Fand der Onkel sie auch hässlich?«
Ellen schwieg. In der Frage ist etwas, das ist zu subtil, dachte Aneta Djanali. Oder in ihrer Nicht-Antwort. Sie antwortete nicht, weil der Onkel die hässlichen Wörter nicht kommentiert hat. Er hat sie nicht gehört.
»Bibibibibi«, sagte Ellen.
*
Er machte eine Tasse Kakao für den Jungen, und zwar auf die richtige Weise: Zuerst mischt man Kakao mit Milch und Zucker, und dann gießt man die warme Milch darauf und rührt mit einem Löffel um. Er hatte sich sogar besonders angestrengt und Sahne hinzugegeben!
Aber der Junge wollte keinen Kakao. Wer soll das begreifen? Er musste doch hungrig und durstig sein, aber er trank nicht, er aß nicht, er schrie und weinte. Und er hatte ihm sagen müssen, dass er still sein sollte, weil die Nachbarn schliefen.
»Schlaschlaschlaschla«, sagte er noch einmal, »schlaschlaschlafen. Du musst schlafen.«
Er zeigte auf den Kakao, der immer noch warm war.
»Kakakakakao.« Er hörte seine eigene Stimme. Sie gehörte zu der… Erregung. Die er wie eine starke Kraft im ganzen Körper spürte.
Der Junge hatte geschlafen, als er ihn ins Haus und in die Wohnung trug. Er war mit ihm durch die Straßen und Tunnel gefahren, bis er eingeschlafen war und nichts ihn wecken konnte.
Der Buggy lag im Kofferraum. Dort ist er in Sicherheit, genau wie der Junge hier in Sicherheit ist, dachte er und nickte wieder zum Kakao. Jetzt fühlte er sich plötzlich ruhiger, als ob in diesem Moment Frieden in ihm wäre und als ob er wüsste, was jetzt passieren würde, nicht jetzt gleich vielleicht, aber bald.
Er wüsste, dass der Junge Micke hieß.
»Micke Johansson«, hatte er mit guter Aussprache gesagt.
»Trink jetzt, Mick«, sagte er
»Ich heiß Micke«, sagte der Junge.
Er nickte.
»Will nach Hause zu Papa.«
»Ist es hier nicht schön?«
»Will nach Hause zu PAPA.«
»Papa ist nicht zu Hause.«
»Ich will nach Hause zu PAPA«, wiederholte der Junge.
»Es ist nicht gut zu Hause bei Papa«, sagte er. Er überlegte, ob der Junge ihn verstand. »Dort ist es überhaupt nicht gut.«
»Wo ist Mama?«, fragte Micke jetzt.
»Nicht gut.«
»Mama und Papa«, sagte Micke.
»Nicht gut«, wiederholte er, denn er wüsste, wovon er redete.
*
Der Junge schlief. Er hatte ihn aufs Sofa gebettet. Jetzt schmückte er den Tannenbaum. Er war aus Plastik, und das war gut, weil er nicht nadelte. Er sehnte sich danach, dass der Junge erwachte, damit er ihm den schönen Baum zeigen konnte.
Er hatte auf der Arbeit angerufen und sich krank gemeldet. Im Augenblick fiel ihm nicht ein, was für eine Krankheit er genannt hatte, aber die Person, die den Anruf entgegengenommen hatte, sagte nur
Weitere Kostenlose Bücher