Der Himmel auf Erden
Vater eines verschwundenen Kindes zu verhören. Halders und Ringmar waren unterwegs. Die Wolkendecke hatte sich wieder geschlossen, oder geöffnet, je nachdem, wie man es sah: Regen wurde vom Nordwind vor sich her gepeitscht.
»Das nenn ich auch eine verdammt lange Pinkelpause«, sagte Halders und nickte zum Regen, der von den Scheibenwischern zur Seite gefegt wurde.
»Pause?«, sagte Ringmar. »Haha.« Ringmar nahm einen Zettel aus der inneren Jackentasche.
Halders sah eine etwas primitive Zeichnung: Natanael Carlströms Versuch, sein Zeichen zu skizzieren. »Glaubst du, man wird eine Ähnlichkeit erkennen?«
Ringmar zuckte mit den Schultern.
Halders sah ihn an, sah auf die nasse Straße, dann wieder zu Ringmar.
»Wie geht es, Bertil?«
»Wie es dir geht?«
Ringmar antwortete nicht. Er schien Notizen zu lesen, aber Halders sah keine Notizen auf dem Papier.
»Du scheinst große Sorgen zu haben«, sagte er.
»Hinterm Kreisverkehr geradeaus weiter und nicht nach rechts«, sagte Ringmar. »Das geht schneller.«
Halders konzentrierte sich aufs Fahren. Nach dem Kreisel fuhr er südwärts. Sie sahen die Mietshäuser auf dem Hügel. In einem von ihnen wohnte Josefin Stenvàng.
»Vielleicht ist er die ganze Zeit dort gewesen«, sagte Ringmar.
»Nein«, sagte Halders. »Das Mädchen war ja auch nicht da. Das weißt du doch.«
»Wir haben sie nur nicht gefunden, weil wir keine Kraft hatten zu suchen«, sagte Ringmar.
»Keine Kraft zu suchen?«, sagte Halders.
»Ich hatte Kraft.«
»Ich hatte keine«, sagte Ringmar.
»Zum Teufel, Bertil, was ist los?«
Ringmar steckte die Zettel wieder in die Jackentasche. »Birgitta ist abgehauen«, sagte er.
»Abgehauen? Wie abgehauen?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Ringmar. Weiß Fredrik etwas von Martin?, dachte er. Was spielt das für eine Rolle. »Ich muss den Weihnachtsschinken selber zubereiten.«
Halders lachte kurz und scharf auf. »Entschuldige, Bertil.«
»Nein, nein, ich finde das auch komisch. Und ich hab noch nicht mal einen gekauft.«
»Dann entspann dich«, sagte Halders. »Die guten Stücke sind längst ausverkauft. Man muss ein halbes Jahr im Voraus bestellen.«
Sie standen auf dem schmalen langen Parkplatz. Ringmar öffnete seinen Sicherheitsgurt. »Dann kann ich mich ja abregen«, sagte er.
*
Aris Kaites Gesicht war überschattet von Angst, wenn das bei so einem Gesicht überhaupt möglich ist, dachte Halders. In seinem Nacken gab es noch Spuren von der Verletzung. Warum sollten sie nicht dort sein. Verletzungen hinterlassen immer Spuren. Diese könnten etwas bedeuten, es könnte aber auch nur ein natürlicher Heilungsprozess sein. Pia Fröberg musste einen Blick darauf werfen. Vielleicht stammt die Waffe von Carlströms Hof, vielleicht auch nicht. Aber Kaite war dort draußen auf diesem gottverlassenen Land gewesen. Vielleicht mag der Alte keine Schwarzen und auch die nicht, die sich mit Schwarzen abgeben, und dann ist er auf seinem Besen nach Göteborg geflogen, herab vom Himmel und hat den Kerlen sein eigenes Siegel aufgebrannt. Das klingt logisch, oder? Auch wenn wir den Besen weglassen.
Es besteht ein Zusammenhang zwischen diesen feurigen Studenten, hatte Halders im Auto auf dem Weg hierher gedacht. Erneut hatte er das gedacht.
Josefin Stenvång saß neben Kaite und sah schuldig aus, noch schuldiger.
»Es ist ein VERGEHEN sich einem Verhör zu entziehen«, sagte Halders, ohne sehr an seinen Formulierungen zu feilen.
Kaite schwieg.
»Warum?«, fragte Ringmer, der neben dem sitzenden Halders stand.
»Ich bin doch hier.« Kaite schaute auf. »Ich hab doch angerufen.«
»Warum?«, fragte Halders.
»Was?«
»Warum haben Sie angerufen? Warum haben Sie sich jetzt gemeldet?«
»Es geht um diese Zeichen, Josefin hat gesehen, dass…«
»ZUM TEUFEL, wegen ein paar Zeichen im Nacken oder am Kopf oder am HINTERN«, sagte Halders. »Sie wissen vielleicht, dass wir in einem Fall ermitteln, da geht es um das Verschwinden eines Kindes. WIR HABEN KEINE ZEIT, uns Ihr dummes Gerede anzuhören.« Er stand auf. Josefin zuckte zusammen. »Ich will also HIER und JETZT wissen, warum Sie verschwunden sind.«
Kaite antwortete nicht.
»Okay«, sagte Halders, »los, wir fahren.«
»Wir?«
»Untersuchungsgefängnis«, sagte Halders. »Mütze auf und Handschuhe an.« Er ging zur Tür. »Gehen Sie vorher sicherheitshalber noch mal pinkeln.« Er drehte sich um und sah das Mädchen an, das Kaite anschaute. »Das gilt auch für Sie, mein Fräulein. Sie kommen
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