Der Himmel auf Erden
immer geglaubt, dass jemand, der lügt, nervös wirkt, einen flackernden Blick und eine hektische Körpersprache hat.« Ringmar lachte auf, laut, kurz und böse. »Dieser unser Retter in der Not ist nun zu dem Schluss gekommen, dass Lügner sich gar nicht so verhalten.« Er sah Winter an und zitierte: »Der Lügner schaut einem häufig direkt in die Augen und erzählt ganz ruhig seine Lügen.«
»Wenn wir das bloß eher gewusst hätten«, sagte Winter. »Jetzt wird die Verhörmethode revolutioniert.«
»Wie viele Fehler wir schon gemacht haben«, sagte Ringmar.
»Danke, lieber Gott, dass es die Forschung gibt«, sagte Winter.
Ringmar las weiter in dem Artikel und lachte wieder. »Ich zitiere: Die Forschung beweist auch, dass es leichter ist, einen Lügner bei einem Videoverhör als bei einem gewöhnlichen Verhör zu entlarven.«
Winter lachte, genauso kurz und böse.
»Wo wir doch die letzten fünf Jahre nur noch Video eingesetzt haben.«
»Ohne dass wir wussten, wozu das gut sein sollte«, ergänzte Ringmar.
»Diese Erkenntnisse müssen aber ganz fix ins Internet«, sagte Winter.
»Sicherheitshalber konstatiert er, dass die rechtspflegerischen Instanzen wenig über moderne Gerichtspsychologie wissen, aber versprochen haben, sich zu informieren«, sagte Ringmar. »Halleluja. Möchte wissen, was Professor Christianson davon hält.«
»Ich glaube nicht, dass er Trost braucht«, sagte Winter.
»Hektische Körpersprache«, sagte Ringmar, »flackernder Blick.«
»Klingt wie ein Film von Fritz Lang. Dr. Mabuse oder M.«
»Vielleicht hat die Göteborgs-Posten diesen Forscherbericht in einem alten Archiv gefunden?«, sagte Ringmar.
»Den Forscher«, sagte Winter, »da haben sie den Forscher gefunden.«
Ringmar suchte nach weiteren Erkenntnissen in dem Artikel. »Vielleicht ist es trotzdem interessant. Unser Forscher hat bemerkt, dass Leute mit Kindern Lügen besser durchschauen können als andere. Sie merken, wenn ihre Kinder die Unwahrheit sagen. Kinderlose Erwachsene sind deutlich schlechter darin.« Ringmar sah auf. »Dann liegen wir ja ganz gut, Erik.« Dann fiel sein Gesicht zusammen, und Winter begriff, was Ringmar in derselben Sekunde dachte.
Das Handy auf der Anrichte klingelte, wo es zum Aufladen lag. Er konnte es erreichen, ohne aufstehen zu müssen. »Ja?«
»Hallo, hier ist Lars.«
Bergenhems Stimme klang schwach, wie aus einem Tunnel.
»Ja?«
»Carolin Johansson hat eine Überdosis genommen«, sagte Bergenhem, »Mickes Mutter. Irgendwelche verdammten Tabletten, sie wissen es noch nicht.«
»Lebt sie?«
»Gerade noch so.«
»Es gab doch keinen Stoff bei ihr zu Hause«, sagte Winter, »das haben wir doch kontrolliert.«
»Schlafmittel, glauben sie. Jemand könnte es ihr mitgebracht haben«, sagte Bergenhem.
»Ich will genau wissen, wer bei ihr war«, sagte Winter.
»Das ist nicht si…«
»Ich will es wissen, Lars. Krieg es raus.«
»Ja.«
»Ist sie im Östra?«
»Ja.«
»Ist jemand von uns dort?«
»Sara.«
»Okay. Was ist mit dem Vater? Wo ist er?«
»Er ist auch dort.«
»Wer bewacht sein Telefon?«
»Zwei Neue. Ich weiß nicht, wie sie heißen. Möllerström kann be…«
»Darauf scheißen wir jetzt. Hast du heute Morgen schon mit Bengt Johansson gesprochen?«
»Nein.« Auch gut, dachte Winter. Ich fahre heute Nachmittag zu ihm, wenn ich es schaffe. Wenn er nach Hause kommt.
Bertil hatte verstanden und erhob sich. »An die Arbeit«, sagte er. »Heiligabend hin oder her.« Er sah Winter hastig an. »In den USA arbeiten sie Heiligabend.«
»Wie geht es dir, Bertil?«
»Ausgezeichnet nach einer good nights wake.«
»Wird Birgitta dich nicht suchen?«
»Wie zum Teufel soll ich das wissen?«
»Du weißt, wo ich stehe, Bertil«, sagte Winter.
»Wie bitte?«
»Ich glaube dir«, sagte Winter.
»Wie kannst du so sicher sein, Erik? Nur weil ich wie ein Tannenbaum im Sturm schwanke und mein Blick flackert wie ein Leuchtfeuer, braucht das ja nicht zu bedeuten, dass ich die Wahrheit sage.«
Winter musste lächeln. »Du schwankst nicht, und dein Blick flackert nicht.«
»Dann ist doch schon alles klar.«
»Lies niemals Zeitungen«, sagte Winter.
»Die Titelseite hab ich dir gar nicht erst gezeigt.«
»Ich glaub, ich kann's mir vorstellen.«
»Dabei ist es nicht mal ein Revolverblatt«, sagte Ringmar. Er ging in den Flur. »Ich hau jetzt ab. Noch mal fröhliche Weihnachten.«
»Bis dann«, rief Winter, aber die Wohnungstür hatte sich schon geschlossen. Er ging zu seinem
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