Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Himmel auf Erden

Der Himmel auf Erden

Titel: Der Himmel auf Erden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
Vom Netzwerk:
Kindergartenareals.
    Winter sah, wie sich die Büsche hinter dem Jungen schlossen. Bald würde er wieder zum Vorschein kommen. Vielleicht hatte er dort drinnen einen Geheimplatz und ging jeden Tag hin.
    Winter ging zum Zaun und schaute nach rechts, um das Kind auf der anderen Seite der Büsche und auf der richtigen Seite vom Zaun zu sehen, aber er sah niemanden. Er ging näher, sah jedoch immer noch niemanden, hörte nichts. Er ging noch näher und entdeckte ein Stückchen abstehenden Stahldraht, er zog daran und merkte, dass der Rest ihm folgte wie eine Schwingtür. Er drehte sich um, aber der kleine Junge war nicht zu sehen.
    Was zum Teu… Er war zu groß für die Öffnung und ging rasch zurück durch die Pforte, doch auch auf dem Hof war der Junge nirgends zu sehen.
    Er ging die zehn Meter zur Kreuzung, die teilweise von dicht wachsenden Tannen, die den Kindergarten umgaben, verdeckt wurde. Als er sich nach rechts wandte, sah er den Jungen zwanzig Meter entfernt auf dem Trottoir in zielbewusstem Tempo wegmarschieren.
    Als Winter mit dem Jungen zum Hof zurückkehrte, war sein Verschwinden schon aufgefallen.
    »Es sollte gerade eine kleine Zwischenmahlzeit geben«, sagte die stellvertretende Leiterin, die besorgt an der Pforte stand.
    »Im Zaun ist ein Loch«, sagte Winter und ließ den Jungen zu Boden, der sich ohne Protest von ihm hatte einfangen lassen.
    »Himmel«, sagte sie und hockte sich vor das Kind. »Hast du einen kleinen Spaziergang gemacht, August?«
    Der Junge nickte.
    »Du darfst nicht hinter den Zaun gehen«, sagte sie.
    Der Junge nickte wieder.
    Sie schaute zu Winter auf. »So was hab ich noch nicht erlebt.« Sie sah zu den Wacholderbüschen. »Wie kann der Zaun kaputtgegangen sein?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Winter. »Ich hatte keine Zeit, das zu untersuchen. Sie müssen ihn auf jeden Fall sofort reparieren lassen.«
    »Ich ruf gleich an.« Sie richtete sich auf. »Die Kinder müssen so lange drinnen bleiben.«
    »Der ganze Zaun muss kontrolliert werden«, sagte Winter.
    Er sah sie nicken, während sie mit August auf dem Arm ins Haus zurückkehrte.
    Winter ging noch einmal zum Zaun und riss an dem losen Teil. Ein weiteres Stück folgte ihm, als ein paar verrostete Halterungen sich lösten. Er war stärker als August, trotzdem war es dem Jungen gelungen, den Zaun zu öffnen, vielleicht war er ja schon schadhaft gewesen. Winter dachte an Elsa. War sie mal mit August hier gewesen? Geh niemals mit fremden Männern.
    *
    Die ganze Gruppe spielte eine Art Verstecken, die Kinder lachten, und das sah so lustig aus. Er hätte zu ihnen laufen und bis hundert zählen und »Fertig!« rufen mögen und »Ich komme!«. Und dann würde er mitspielen und suchen, er würde jemanden aus einem Versteck hervorspringen sehen, aber er würde schneller sein und es wieder zurückschaffen und ihn anschlagen, und noch einmal würden sie es spielen, und alle würden sagen, er sei der Schnellste und Beste und dann, wenn er selbst mit Verstecken an der Reihe war, würde ihn niemand finden, und er würde hervorstürzen und sich freischlagen. Jedes Mal würde er das schaffen.
    Jetzt weinte er. Es regnete, er sah es auf der Windschutzscheibe.
    Wieder dieselbe Stimme im Radio, immer diese Stimme, wenn er losfuhr, wenn er sich so fühlte wie jetzt. Wenn er dort sein wollte, wo die Kinder waren. Mit den Kindern sprechen, mehr tat er nicht.
    Dieselbe Stimme, dieselbe Zeit, dasselbe Programm, dasselbe Licht am Himmel. Dasselbe Gefühl. Wenn eins der Kinder ihn begleiten wollte? Ihn zu Hause besuchen wollte? Wie sollte er da nein sagen können? Selbst wenn er es wollte?
    Die Stimmen dort draußen klangen wie ein Rauschen, wie Regen. Er mochte diese Geräusche und wie sie sich so angenehm mischten, dass er nicht mehr lange stillsitzen und zuhören konnte.
    Dann kam dieses Gefühl, das anders war, und er wusste, es machte ihm Angst. Er versuchte den Kopf zu schütteln, damit es in ihm versank, wie es früher auch geschehen war, aber das Gefühl versank nicht. Es zwang ihn, sich zu recken und die Autotür zu öffnen, einen Fuß auf den Boden zu setzen, der mit verrottetem Laub bedeckt war. Und jetzt stand er neben dem Auto, und das Gefühl war stärker. Es schnürte ihm wie ein Band die Brust zusammen. Er hörte sein eigenes Atmen, und ihm erschien es so laut, dass es eigentlich alle hören müssten. Aber niemand hörte es. Alle rannten durcheinander. Alle lachten. Alle waren fröhlich, und er wollte nicht daran denken, wie es gewesen

Weitere Kostenlose Bücher