Der Himmel auf Erden
war. Jedenfalls in den Augen des Kindes.«
Winter dachte an sein eigenes Kind. Die Jahre, die vor ihnen lagen. Die möglichen Ereignisse.
Sie fuhren vor Ringmars Haus vor. Es erstrahlte unter der Weihnachtsbeleuchtung des Nachbarn, genau wie der Fluss im Glanz der Oper gefunkelt hatte.
Ringmar sah Winter an, dessen Gesicht wie von einem Scheinwerfer bestrahlt wurde.
»Ist das nicht schön?«, fragte er mit einem dünnen Lächeln.
»Sehr schön. Und jetzt weiß ich auch, warum du nachts wach liegst.«
Ringmar lachte auf.
»Kennst du ihn gut?«, fragte Winter.
»Nicht gut genug, um mit der SigSauer in seinen Garten zu gehen und für Dunkelheit zu sorgen und sicher zu sein, dass er es auch versteht.«
»Soll ich das für dich tun?«
»Du musst schon genug für mich tun«, sagte Ringmar und stieg aus dem Auto. »Bis morgen.« Er wedelte mit der Faust und ging den Gartenweg hinauf, der von dem funkelnden Wald des Nachbarhauses beleuchtet wurde. Hier kriegt man jede Lichttherapie, die man braucht, dachte Winter. Lichttherapie. Noch zehn Tage oder so, und sie würden in dem spanischen Garten mit den drei Palmen sitzen, unter dem Weißen Berg, und der rhythmischen Musik seiner Mutter lauschen, die den zweiten Tanquery & Tonic des Nachmittags an der Bar mixte. Einige Tapas auf dem Tisch, gambas a la planche und jamón serrano, ein Teller mit boquerones fritos, vielleicht un fino für Angela und vielleicht auch einer für ihn. Eine kleine Wolke im Augenwinkel, aber nichts, weswegen man sich Sorgen machen müsste.
In der besten aller Welten, dachte er und fuhr am Schlosswaldgraben vorbei. Ich weiß nicht, ob sie hier ist, gerade jetzt.
Ich muss erst im Flugzeug sitzen, bevor ich überhaupt was glaube.
Er bog auf die Schnellstraße ein. Heute Vormittag war er in die entgegengesetzte Richtung gefahren, Himmel, es war erst heute Vormittag gewesen, als er und Halders schweigend in die Fahrtrichtung gestarrt hatten.
»Wie geht es dir, Fredrik?«
»Besser als letztes Jahr Weihnachten. Das war nicht lustig.«
Winter hatte bemerkt, dass Bertil dasselbe Wort benutzt hatte: lustig. Ja, vielleicht. Wenn alles gut war, war es lustig.
Letztes Jahr Weihnachten hatte Fredrik Halders zusammen mit seinen beiden Kindern, Hannes und Magda, verbracht, ein halbes Jahr, nachdem Margareta überfahren worden war.
An jenem Heiligabend war Aneta Djanali einige Stunden bei Halders gewesen. Winter hatte nie mit Fredrik darüber gesprochen, aber Aneta hatte ihn, Winter, vor einem Jahr, an einem Herbsttag besucht. Sie war nicht gekommen, um sich seinen Segen abzuholen, aber sie wollte trotzdem mit ihm reden.
Sie hatten sich damals lange unterhalten. Er war froh, sie in dem Team zu haben, mit dem er am engsten zusammenarbeitete. Er war froh, Fredrik Halders zu haben, und er glaubte, Aneta und Fredrik waren froh, einander zu haben.
»Seid ihr dieses Jahr zu Hause?« Winter war durch den neuen Kreisverkehr östlich vom Frölunda Torg gefahren. Der Verkehr war ruhig, eine Atempause.
»Wie bitte?«
»Feiert ihr Weihnachten in Göteborg?«
Halders hatte nicht geantwortet. Vielleicht hatte er es nicht gehört oder nicht hören wollen.
Sie waren an der Meeresvegetation entlanggefahren, die in Gelb und Braun erstarrt war, Schilfdickicht wie struppige Linien. Auf der Suche nach Nahrung waren Vögel darüber gekreist. Auf den Feldern und Straßen waren nicht viele Menschen gewesen. Viele Autos waren ihnen auch nicht begegnet.
Später am selben Tag würde Winter diese Landschaft mit der durchsichtigen Einsamkeit vor der Stadt vergleichen, dort, wo das Land flach war.
»Hast du schon einen Tannenbaum?«, hatte Halders plötzlich gefragt.
»Nein.«
»Ich auch nicht. Es kommt mir dieses Jahr vor wie ein Riesenangang.« Er hatte aufgeschaut. »Aber die Kinder wollen natürlich einen Baum.«
»Elsa auch«, hatte Winter gesagt. »Und du? Und Angela?«
»Einen kleinen vielleicht. Sie nadeln so schrecklich«, hatte Halder gesagt. »Ich erwische immer Tannen, die nadeln wie der Teufel. Am zweiten Weihnachtstag haben wir einen grünen Teppich im Wohnzimmer.«
»Hast du gestern Lazio-Anhänger gesehen?«, hatte Winter gefragt und war oberhalb der Anleger nach rechts abgebogen. Die Häuser wirkten wie aus den Klippen gehauen. Es war lange her, seit er zuletzt hier gewesen war.
»Nein, aber ich hab Roma gesehen.«
Winter hatte gelächelt.
»Lazio ist eine alte faschistische Gruppe mit neofaschistischem Applaus«, hatte Halders gesagt. »Von mir aus
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