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Der Himmel ist kein Ort

Der Himmel ist kein Ort

Titel: Der Himmel ist kein Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Wellershoff
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Sie.«
    »Keine Ursache«, sagte Pauly.
    Er hatte es nur leise gemurmelt. Schweigend gingen sie weiter nebeneinanderher – zwei Leute, die auf ihre Füße und den Weg
     achteten, um nicht zu stolpern.
    Nach einer Weile sagte Pauly: »Die Gottesfrage ist schwer zu beantworten. Jedenfalls nicht mit dem Anspruch auf allgemeine
     Gültigkeit. Gegenwärtig ist alles multiperspektivisch, alles ist im Fluss.«
    |204| »Deshalb wohl auch eine Tagung mit so vielen gegensätzlichen Rednern und Diskussionsteilnehmern?«
    »Das war von Anfang an unser Konzept. Wir hatten nicht vor, es uns einfach zu machen. Hoffentlich läuft es nicht auf eine
     ähnliche Verwirrung hinaus wie der Turmbau zu Babel.«
    Pauly lächelte über seinen Vergleich: ein Mann, der seine Einfälle liebte und sie wohl auch brauchte, um sich der amtlichen
     Phrasen zu erwehren. Pauly war ein lebhafter, gesprächiger Mensch. Aber das Gehen schien ihn anzustrengen. Er humpelte, weil
     er seinen rechten Fuß ein wenig einwärtssetzte. Anfangs war ihm das nicht aufgefallen. Vielleicht waren sie zu schnell gegangen.
     Oder zu weit. Vermutlich auch was das Gespräch anging. Trotzdem konnte er es nicht unterlassen zu fragen: »Wäre denn für Sie
     und für die Kirche ein Pfarrer akzeptabel, der nicht an Gott glaubt?«
    »Sie stellen verfängliche Fragen«, sagte Pauly. »Aber ich weiß, es treibt Sie um. Also, ich kann in diesem Fall nur für mich
     sprechen. Ich könnte es akzeptieren unter der Bedingung, dass die christliche Grundorientierung erhalten bleibt und der Gottesglaube
     anderer Menschen nicht angetastet wird. Ich bin sogar überzeugt, dass es oft so läuft.«
    Eigentlich, dachte er, glaubt Pauly auch nicht an Gott. Oder nur in der unbestimmten, nicht weiter hinterfragten Weise, wie
     ich es bis vor Kurzem auch getan habe.
    »So, wir sollten mal umkehren«, sagte Pauly und |205| fügte noch hinzu: »Das war jetzt nicht theologisch gemeint.«
    Wieder erschien auf seinem Gesicht das Zustimmung erheischende, freundliche Lächeln.
     
    Als sie zurückkamen, war der Dienstwagen schon da. Sie gingen aber in sein Arbeitszimmer, weil Pauly noch etwas anderes mit
     ihm besprechen wollte, was ihm sehr dringlich erschien. Durch ihr Gespräch während des Spaziergangs war er anscheinend davon
     abgekommen. Vielleicht hatte er es sich auch aus taktischen Gründen aufbewahrt, um zum Schluss, wenn die Zeit drängte, leichter
     darüber hinwegzukommen. Es war der Vorschlag, er solle nach der Tagung für zwei oder drei Wochen in Urlaub fahren, um sich
     zu erholen und sich durch einen jungen Kollegen, der sich im Hilfsdienst bewährt hatte und den Pauly nachdrücklich empfahl,
     vertreten zu lassen. Pauly sagte das mit einer solchen fürsorglichen Wärme und Herzlichkeit, als habe er ihm ein kunstvoll
     eingepacktes Überraschungsgeschenk auf den Tisch gelegt, in der Erwartung, dass er es gleich aufschnüren und sich daran freuen
     werde.
    Doch er fühlte sich vor den Kopf gestoßen. Wollte man ihn abschieben? War man im Landeskirchenamt der Meinung, dass er versagt
     hatte? Als er das fragte – um einen sachlichen Ton bemüht, aber ohne seine Erregung ganz verbergen zu können –, bekam er eine
     zweigeteilte Antwort: Nein, nein, man schätze seine Arbeit und seine innere Einstellung sehr. Leider hätten sich die Dinge
     unglücklich entwickelt und seien für |206| manche Leute mit seiner Person verbunden. Für die Landeskirche komme es jetzt darauf an, wieder Ruhe und Normalität im Gemeindeleben
     herzustellen. Das sei, so wie die Dinge im Augenblick stünden, in enger Verbindung mit ihm nicht ganz leicht zu erreichen.
     Schon deshalb nicht, weil man ihm keine Revision seiner Haltung zumuten wolle. Ein kurzer Urlaub, den er ohnehin verdient
     habe, wäre deshalb eine gute Lösung. »Sie würden uns damit einen großen Dienst erweisen«, fügte er hinzu.
    Während er Paulys wohlgewählten Worten zuhörte, war er mehr und mehr erstarrt. Er hatte das hinter seiner knappen Zustimmung
     verbergen können. Pauly hatte sich mit den Worten »Wir sehen uns ja in ein paar Tagen schon wieder« verabschiedet und war
     durch die von seinem Fahrer aufgehaltene Tür umständlich in den Rückraum des Dienstwagens gestiegen, wo er sich im Davonfahren
     in eine winkende Silhouette verwandelte.
     
    »Wie war es«, fragte Frau Meschnik, als er ins Büro zurückkam.
    »Fragen Sie mich was Leichteres«, antwortete er.
    Sie lächelte verständnisvoll. »Dann wünsch ich Ihnen einen

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