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Der Himmel ist kein Ort

Der Himmel ist kein Ort

Titel: Der Himmel ist kein Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Wellershoff
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schönen Abend.«
    »Danke«, sagte er. »Es kann nur besser werden.«
    »Das ist doch ’ne Aussicht«, sagte sie.
    War es das Wort, das sie gebraucht hatte, das ihn veranlasste, gegen seine Gefühle von Vorsicht und Scham, zu erzählen, dass
     Pauly ihm einen Urlaub verordnet hatte? Es war nicht in seinem Interesse, dass |207| sie es vorzeitig erfuhr und natürlich darüber reden würde. Lieber wäre er spurlos verschwunden. Ohne Zuschauer und Kommentatoren.
     Aber das war ja sowieso nicht möglich.
    »Es ist nur für zwei bis drei Wochen«, sagte er. »Niemand ist unersetzbar«, fügte er überflüssigerweise hinzu.
    »Freuen Sie sich doch«, sagte sie. »Ich glaube schon, dass Sie es nötig haben.«
    »Hab ich auch«, sagte er. »Pauly will einen sympathischen und kompetenten Vertreter schicken. Vielleicht soll ich an ihm Maß
     nehmen.«
    »Ach was«, sagte Frau Meschnik. Um ihn aufzumuntern, zeigte sie ihm eine Faust mit hochgerecktem Daumen, eigentlich eine Geste
     männlicher Dominanz. »Also«, sagte sie und wandte sich zum Gehen. Dann fiel ihr noch etwas ein: »Ich hab Ihnen einen Brief
     auf den Tisch gelegt, den ich gerade unter den Drucksachen entdeckt habe. Vielleicht wollten Sie ihn gar nicht lesen?«
    »Kann schon sein«, sagte er so trocken wie möglich.
    Er hoffte, dass es ein neuer Brief von Luiza Suarez war. Schon als er in sein Zimmer trat, sah er den breiten, leicht getönten
     Umschlag, der demonstrativ mitten auf seinem leer geräumten Schreibtisch lag. Das war in seiner ironischen Anzüglichkeit ein
     typisches Arrangement von Frau Meschnik. Aber es entsprach auch seiner besonderen Erwartung, in der er schon aus der Entfernung
     die unverwechselbare, stürmische Schrift erkannte. Als wäre es ein Beutestück, steckte |208| er den Brief in seine innere Jackentasche und stieg in seine Wohnung hoch, in der es hinter den zugezogenen Gardinen schon
     dämmrig war. Er würde also in drei Tagen zu dieser Tagung fahren und von dort aus Luiza Suarez in Hamburg besuchen, falls
     sie das noch wollte. Bei ihm stand dem seit Paulys Abschied nichts mehr im Wege. Er war frei. Doch er spürte, dass er niedergedrückt
     war und in der Verfassung, Enttäuschungen für wahrscheinlich zu halten. Um sich seine Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit
     zu beweisen, aß er erst zu Abend und räumte dann das Zimmer und die Küche auf, bevor er den festen, sorgfältig zugeklebten
     Briefumschlag mit einem Küchenmesser aufschlitzte und die zwei Briefbögen herausnahm und entfaltete. Der Brief begann ohne
     Anrede in völliger Gegenwärtigkeit:
    »Ich habe eine schlechte Nacht gehabt. Man sagt ›schlecht‹, weil man nicht geschlafen hat oder nur wenig. Dabei sind das die
     Nächte, in denen sich das Wichtige in uns kristallisiert, ob wir wollen oder nicht. Sodass ich diese Nächte nicht missen möchte.
     Obwohl ich dann am Morgen so müde bin, dass mich schon ein heruntergefallener Kleiderbügel aus der Fassung bringen kann. Ich
     wünsche mir nichts so sehr, als dass Sie kommen und ich Sie sehe – ich bin so weit, dass ich sage: Wo Sie wollen. Keine Angst,
     vor nichts! Ich bin so eingebildet, dass ich sage, wo ich auch bin, werden Sie Ruhe finden, die Ruhe, die Sie brauchen, um
     Ihre Unruhe zu ertragen. Ihre Unruhe ist ja Ihre Quelle, die noch nicht ganz gefasst ist. Sage ich das richtig?«
    |209| Mit einigen Zeilen Abstand folgte, wie sie es offenbar liebte und wie es ihrem Temperament entsprach, noch ein nachgestellter,
     alles verdichtender Satz:
    »Ich könnte Ihnen alles, was ich Ihnen schreiben möchte und geschrieben habe, in drei ganz einfachen und schon oft gesagten
     Worten mit mir zusammen geben.«
    Darunter stand ohne einen weiteren Zusatz ihr Name.
    Aber sie hatte nicht Schluss machen können und auf dem nächsten Blatt einen langen Nachtrag geschrieben:
    »Bis ich Sie gesehen und gespürt habe, muss ich marternde Angst ertragen, ob ich in Ihnen etwas erwecken kann, ob mein Körper
     und mein Geist Ihren Fragen antworten können. Bevor wir uns sehen, werde ich viele kleine Stoßgebete schicken: ›Lieber Gott,
     ich möchte ihm gefallen, wenigstens heute. Bitte verkläre ihm die Augen, nur für diese Stunden!‹
    Denken Sie nicht, dass Sie nachher an mich gebunden sind. Alles kann geschehen, aber nichts muss sein. Gemeinsam werden wir
     uns von allem Erstarrten befreien. Ich möchte Ihnen das sein, was Sie mir sind. Doch im Leben ist alles ungleich. Und gerade
     das Schwanken der Waage macht aus uns

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