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Der Himmel ist kein Ort

Der Himmel ist kein Ort

Titel: Der Himmel ist kein Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Wellershoff
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vergangenen Wochen erlebt hatte,
     war verwirrend und banal |240| gewesen. Und es war noch nicht zu Ende. Pauly hatte ihn zu der Tagung eingeladen, um Ruhe herzustellen. Und er hätte es sicher
     nicht gerne gesehen, wenn er die Probleme wieder aufgerollt hätte. Anfänglich hatte er das als Befreiung empfunden. Lange
     würde er es allerdings nicht mehr aushalten in dieser Gesellschaft von intellektuellen Meinungsführern, die sich ständig gegenseitig
     profilierten.
     
    Auch in der nachmittäglichen Diskussionsrunde breitete sich Missbehagen aus, weil es nur Selbstverständliches zu sagen gab.
     Schließlich war man froh, in den Garten gehen zu können, wo die Rap-Band »The broken Angels« ihren Auftritt vorbereitet hatte.
     »Broken Angels sind wir doch alle«, sagte jemand im Vorbeigehen.
    Die fünf jungen Leute, alle in den hellblauen T-Shirts mit der provokanten Aufschrift, hatten sich auf der Terrasse postiert,
     wo sie Stromanschluss hatten. Sie stimmten gerade ihre Instrumente: Geige, Gitarre, Saxofon und Bass. Der Fünfte war der Bandleader
     und Sänger. Er spielte auch die Querflöte und leitete mit einer schrillen Sequenz seinen Auftritt ein. Mit rauer Stimme sagte
     er: »Guten Tag, guten Abend.« Dann zeigte er nach oben und sagte: »Der Himmel ist heute freundlich. Anscheinend mag er uns.
     Sie und vielleicht sogar uns. Seit eh und je hat er sich geduldig angehört, was über ihn gesagt und gesungen worden ist, und
     hat immer wieder sein wunderbares blaues Lächeln gezeigt: Das sogenannte blaue Wunder. Ich weiß nicht genau, was damit gemeint
     ist: schönes Wetter oder |241| blaue Flecken. Ich hoffe, der Himmel akzeptiert uns. Sagt man das nicht auch in der Kirche?«
    Er machte eine Pause und schaute fragend ins Publikum, wo eine leichte Unruhe herrschte.
    »Nein? Sagt man was ganz anderes?«
    Niemand antwortete.
    »Schade. Hätte ich gerne gewusst. Ich bin unwissend, aber lernfähig. Sie lesen es ja in der Zeitung: Wir brauchen eine Bildungschance.
     Also, wo waren wir stehen geblieben? Beim blauen Wunder.«
    »Anfangen!«, rief jemand im Hintergrund.
    Das war Christoph, wenn er sich nicht täuschte. Der Sänger schien nicht irritiert zu sein, aber er reagierte.
    »Gutes Stichwort«, sagte er.
    Damit drehte er sich um und gab dem Bass ein Zeichen, der mit einem einfachen Rhythmus begann, in den nacheinander die Gitarre,
     die Geige und das Saxofon einfielen, während er, der Bandleader, eine Weile vor seinem Mikro, wie von Stromstößen gepeitscht,
     zuckende Bewegungen machte, bevor er rhythmisch in einer monotonen Stimmlage zu sprechen begann. Es wirkte, als wäre er auf
     einen fahrenden Zug gesprungen, der nun mit seiner Sprechweise volles Tempo aufnahm:
    »Vorwärts-rückwärts im Über- oder Untergang
    wir sind zwar Spitze, doch kommen wir nicht an.
    Wir kommen, wir kommen nicht
    trotz aller Prophetie.
    Wer anklopft, dem wird aufgetan.
    Doch wir kommen nie.
    |242| Wir hören zwar die message
    ja ja ja
    wir sind auf unserer passage,
    doch sind wir noch nicht da.
    Heaven is a feeling und kein Ort.
    Wenn du ankommst, ist niemand dort.
    Auf Wolke sieben haben sie’s getrieben.
    Auf Wolke acht haben sie’s auch gemacht.
    Sechs, sieben, acht, neun und zehn:
    Sie sind nirgendwo zu sehn:
    Die Engel und die Seligen,
    die ganz und gar Unzähligen.
    Wo sind sie bloß geblieben?
    Wer hat sie vertrieben?
    Die Welt ist eine Startbahn,
    der Himmel ist kein Ort.
    Life is a race. Heaven is not a place.
    Enthüllst du auch dein face
    und klopfst noch einmal an:
    Im galaktischen space geht niemand ran.
    Nun kannst du ruhig abschnallen,
    aufstehn oder niederfallen.
    Ist doch schrill, wenn niemand dich will
    und niemand dich braucht.
    Oh, das schlaucht!
    Es ist das falsche feeling
    und der falsche Ort.
    Der Himmel ist unendlich,
    die Engel sind fort.
    Sie sind wie nie gewesen,
    denn die Evolution
    |243| hat sie ausgelesen
    lange schon.
    Ihre goldenen Flügel
    hängen auf dem Bügel
    der Himmelsgarderobe,
    matt und schlapp, flapp, flapp, flapp, die sind ab.
    Doch sind sie wie zur Probe
    noch mal vorbeigeflogen,
    und das ist nicht gelogen –
    wenn du es gesehen hast,
    wenn du es geträumt hast.
    Wenn du es gedacht hast,
    aber nicht gelacht hast.
    Oder doch oder nein.
    Das Unmögliche kann sein.
    Heaven is a feeling.
    Heaven is a feeling.
    Heaven is a feeling !«
    Die Band endete mit einem lang gezogenen Akkord und brach schlagartig ab. Die meisten Zuhörer klatschten. Einige gingen stumm
     weg. Er selbst

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