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Der Himmel ist kein Ort

Der Himmel ist kein Ort

Titel: Der Himmel ist kein Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Wellershoff
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dem Leben herausgelöst, gleichgültig damit beschäftigt, sich die Nägel
     zu schneiden.
    Für mich ist das das Beste und Tiefsinnigste, was |250| heute über Gott und die Welt gesagt werden kann. Der alte zornige Weltenschöpfer und Weltenherrscher hat längst die Gewalt
     über die Welt verloren. Sie ist so komplex geworden, dass er sie nicht mehr lenken und nicht mehr korrigieren und auch nicht
     mehr beurteilen kann. Sie ist ein ungeheurer, sich selbst immer weiterentwickelnder und ständig beschleunigender Prozess ohne
     vorgegebenes Ziel. Und er ist ihre einzige mögliche Entsprechung in seiner totalen ungerührten Wahrnehmung des laufenden Geschehens.«
    »Aber das ist doch schrecklich.«
    »Ich sehe das nicht so. Gott ist die Selbstwahrnehmung der Wirklichkeit. Und daran können wir auf unsere bescheidene Weise
     teilhaben. Aber ich gebe zu, es kann einem den Atem verschlagen.«
    »Vielleicht ist das gemeint, wenn wir sagen: Weiß Gott!«
    »Da hast du recht. Wenn er überhaupt etwas wahrnimmt, dann gleich alles. Das ist ’ne Rangfrage im Vergleich zu uns. Aber göttliche
     Allwissenheit und göttliche Ohnmacht gehören zusammen. Und die göttliche Gleichgültigkeit lässt ihn alles überdauern.«
    »Wie soll man damit umgehen?«
    »Ohne Angst. Niemand sitzt uns im Nacken. Wir haben nur noch selbst geschaffene Probleme. Neulich habe ich einen geistvollen
     Witz gehört. Ein Verstorbener, der gerade in den Himmel kommt, bittet Gott, ihm eine einzige Frage stellen zu dürfen, die
     er auf Erden nicht beantworten konnte: ›Welche Religion ist eigentlich die richtige?‹ Gott antwortet: ›Das weiß ich nicht.
     Ich bin nicht religiös.‹«
    |251| »Ich glaube, nun muss ich mich doch betrinken.«
    »Dann Prost!«, sagte Christoph.
     
    Als sie zwei Stunden später die Kneipe verließen und ins Gästehaus gingen, fühlte er sich benommen und schwerfällig, aber
     zugleich von allem abgehoben. Alles war ungreifbar und kulissenhaft. Was er hinter sich hatte – die Probleme, die Schwierigkeiten
     in der Gemeinde –, lag weit zurück. Morgen wollte er irgendwann die Tagung verlassen, um nach Hamburg zu fahren und Luiza
     Suarez zu besuchen. Aber es war nur noch ein abstraktes Vorhaben. Er hatte kein Bild mehr von ihr. Und er fürchtete, er würde
     alles verderben, wenn er jetzt den Versuch machte, zu seiner Selbstversicherung wieder ihre Briefe zu lesen. Am besten legte
     er sich ins Bett und schaute die Zimmerdecke an. Vielleicht fiel ihm etwas ein, wenn die Wirrnis dieses Tages sich gelichtet
     hatte.
    Sein Kopf war dumpf und schwer und lag tief eingesunken in der Wärme des weichen Kissens. Ich hab vergessen, das Fenster zu
     öffnen, dachte er, konnte sich aber nicht entschließen, noch einmal aufzustehen, und glitt in eine Folge zerrissener Träume
     hinüber.
    Mitten in der Nacht wurde er wach mit dem dringenden Bedürfnis, ins Bad zu gehen, stieß dabei im Dunkel mit dem Kopf gegen
     die Wand und wusste nicht, wo er war.
    Erst als er um sich herumtastete und gegen die Nachttischlampe stieß, erkannte er das Zimmer wieder, aber noch in dem seltsamen
     Gefühl, es habe sich gerade um ihn herum wiederhergestellt. Als er aus |252| dem Bad zurückkam und sich im Dunkel ausstreckte, fiel ihm das Traumbild ein, das ihn geweckt hatte. Es war ein großer Teich
     voller nackter badender Menschen gewesen, aus deren Mitte mit hochgerissenen Vorderhufen ein riesiger schwarzer Pferdeleib
     hervorwuchs. Das war ein Angst einflößendes Bild, das er erst wegschieben musste, bevor er sich wieder hinlegte, um weiterzuschlafen,
     diesmal schwer wie ein Stein.
     
    Er war der Letzte beim Frühstück, weil er noch seinen Koffer gepackt hatte, den er schon ins Auto legte, bevor er noch einmal
     in die Akademie hinüberging, um Christoph zu suchen und sich von ihm zu verabschieden. Er entdeckte ihn nirgendwo auf den
     Fluren, weil die verschiedenen Arbeitsgemeinschaften, die für den Vormittag auf dem Programm standen, schon begonnen hatten.
     Er entschloss sich, in die philosophische Arbeitsgemeinschaft zu gehen, weil er Christoph dort vermutete. Doch unter den etwa
     dreißig Leuten, die sich dort versammelt hatten, war er nicht.
    Um nicht zu stören, setzte er sich in die hintere Stuhlreihe, während der Dozent, der ihn bei seinem Eintreten kurz gemustert
     hatte, weiterredete. Sein Thema, das draußen angeschlagen war, lautete: »Der Gottesbegriff. Eine erkenntnistheoretische Annäherung.«
     Der Vortrag hatte wohl noch

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