Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Himmel kann noch warten

Der Himmel kann noch warten

Titel: Der Himmel kann noch warten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gideon Samson
Vom Netzwerk:
krank.«
    »Aufhören?«
    »Ja bitte.«
    Doktor Penninck schreibt wieder in sein Schmierheft. Es dauert sehr lange. Dann schaut er mich an.
    »Belle?«
    »Ja?«
    »Wie geht es deinem Schreibheft?«
    »Danke, gut.«
    »Funktioniert es ein bisschen?«
    Ich nicke.
    »Bringt es dir etwas?«
    »Doch, ja.«
    Doktor Penninck hat gesagt, dass ich ihm alles erzählen kann. Dass er nie etwas verrückt findet. Und das stimmt auch. Selbst die verrücktesten Dinge, die ich sage, findet er nicht verrückt. Trotzdem erzähle ich ihm nicht, dass ich berühmt werden will mit meinem Heft. Dass ich die neue Anne Frank werden will. Denn dann schäme ich mich zu Tode.
    »Sehr gut«, sagt Doktor Penninck. »Und schön weiterschreiben.«
    Ich nicke.
    »Und wenn du mal etwas vorlesen möchtest, dann ruf mich einfach.«
    »In Ordnung«, sage ich. »Ich werde darüber nachdenken.«
    Aber das habe ich längst getan. Doktor Penninck darf nie auch nur einen Buchstaben hören. Solange ich lebe, darf niemals jemand etwas aus meinem Heft hören oder lesen. Selbst Mama nicht. Nur Jani durfte es, aber Jani ist Jani und Jani ist tot.

    Eine Erinnerung.
    Ich war zehn. Schon anderthalb Monate zehn. Papa hatte nichts mehr von sich hören lassen und Mama hatte auch irgendwann aufgehört zu weinen.
    Draußen schellte es. Mama war gerade eine Minute lang fort. Einkaufen. Portemonnaie vergessen? Ich ging zur Tür. Da stand Papa.
    »Prinzesschen«, sagte er.
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Selbst wenn ich es gewusst hätte, wäre es nichts geworden. Mein Hals fühlte sich dick an. Viel zu dick, um zu sprechen.
    »Ich freue mich ja so, dich zu sehen«, sagte Papa. »Habe ich dir gefehlt?«
    Mir wurde klar, dass Papa draußen Ausschau gehalten hatte. Dass er gewartet hatte, bis Mama weg war. Ich fand ihn so feige. Und auch so traurig. Und so was von schlaff. Und ich liebte ihn.
    »Wieso kommst du erst jetzt?«, fragte ich. All diese Worte mussten durch diesen dicken Hals. Ich wollte noch mehr sagen, aber das würde nur wehtun.
    »Es ging nicht anders«, antwortete Papa. »Aber jetzt bin ich doch da?«
    Ich schüttelte den Kopf. Das zählte nicht. Papa konnte jetzt natürlich nicht hereinkommen. Und ich konnte nicht einfach so mit ihm mitgehen. Das wollte ich auch gar nicht. Feige. Traurig. Schlaff. Ich liebte Papa und ich hasste ihn.
    »Geh weg«, sagte ich.
    »Prinzesschen?«
    »Weg!«
    »Warum?«
    Ich schluckte. Drei Mal zu oft mit den Augen zwinkern wäre der Anfang einer Tränenumarmung geworden. Dazu hatte ich echt keine Lust.
    »Ich hasse dich.«
    Papa schüttelte den Kopf. »Du weißt nicht, was du sagst.« Er wollte die Umarmung. Ich wandte mich von ihm ab.
    »Ich hasse dich«, sagte ich noch einmal. »Ich hasse dich, und ich hoffe, dass du niemals wiederkommst.«
    Das war für Papa das Ende. Er schaute plötzlich ganz eigenartig und ging weg, ohne sich noch einmal umzudrehen.
    Zwanzig Minuten später kam Mama nach Hause. Ich erzählte ihr nichts.

    Mama hat jetzt wirklich aufgehört zu rauchen. Sie findet es lächerlich, dass es so lange hat dauern müssen.
    »Was war bloß in mich gefahren?«, sagt sie. »Es ist eklig und dumm.« Sie steckt sich ein Honiglakritz in den Mund. Das dreißigste in einer halben Stunde. Da, schon wieder eins. Sofort hinterher.
    »Du hast noch eins im Mund«, sage ich.
    »Zwei zusammen schmeckt besser«, sagt Mama.
    Meinetwegen. Sie schmatzt leise. Mir wird schlecht davon.
    »Du wirst dick«, sage ich.
    Hör sich einer mich an. Ich kann mich noch nicht einmal für Mama freuen, dass sie mit dem Rauchen aufgehört hat. Wie unfreundlich. Schnell etwas anderes sagen.
    »Wie geht es Oma?«
    Mama sagt, ich könnte sie einfach anrufen. Das möchte ich gern. Mama hat ihre Nummer in der Handtasche. Sie sucht. Sie wühlt. »Wie ein altes Mütterchen«, würde Papa sagen.
    Was sehe ich denn da in Mamas Tasche? Nein, oder? Ja, tatsächlich. Ein Päckchen Zigaretten. Weiß mit Braun. Das erkenne ich von Weitem.
    »Ma!«
    »Ja!«
    Wie schuldig sie klingt. Mal sehen, ob sie sich irgendwie herauswindet. Sie wühlt weiter wie ein altes Mütterchen in ihrer Tasche. »Wo steckt die Nummer bloß?«, sagt sie.
    »Neben deinen Zigaretten«, sage ich.
    Mama hört auf zu wühlen. Sie schaut mich mit rotem Kopf an. Hatte sie wirklich erwartet, ich würde ihr glauben, sie hätte eben mal so damit aufgehört?
    »Ich rauche nicht mehr«, sagt Mama.
    »Ja, ja.«
    »Ich habe sie nur für den Fall der Fälle dabei.«
    »Welchen Fall der

Weitere Kostenlose Bücher