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Der Himmel kann noch warten

Der Himmel kann noch warten

Titel: Der Himmel kann noch warten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gideon Samson
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keinen Sinn.
    Nina fuhr weg. Sie war enttäuscht. Das sah ich an ihrem Rücken. Ich ging ins Haus. Zu Mama. Ich war auch enttäuscht. Aber das sah Mama nicht. Sie hatte viel zu viele Tränen vor den Augen.
    »Kindchen«, sagte Mama.
    »Warum weinst du?«, fragte ich.
    »Kindchen«, sagte Mama wieder. Sie breitete die Arme aus. In der Art von:
Komm einfach zu mir
.
    »Warum weinst du?« Mir war klar, dass wir nicht ständig das Gleiche sagen konnten, aber ich wollte wissen, was denn jetzt wieder los war. Mama weinte in letzter Zeit wegen allem.
    »Er ist weg«, sagte Mama.
    »Papa?«
    Mama nickte. Sie weinte noch etwas lauter.
    »Kommt er bald wieder, was meinst du?«, fragte ich.
    Mama schüttelte den Kopf, und da begriff ich, weshalb sie so laut weinte. Papa war diesmal nicht nur für einen Taggeflüchtet. Oder für eine Woche. Oder für drei Abende hintereinander. Papa kam nicht mehr zurück.
    »Es ist alles meine Schuld«, sagte Mama.
    Ich traute meinen Ohren nicht. Wie konnte sie so etwas sagen?
    Mama breitete wieder die Arme aus. Aber zu einer, die so dumme Sachen sagte, wollte ich nicht kommen. Die musste sich selber trösten.
    »Kindchen«, sagte Mama zum dritten Mal.
    Ich drehte mich um und ging aus dem Zimmer.

    Schnatter-di-schnatter-di-schnatter. Nein, bloß nicht. Wie bringt diese Brie das nur fertig? Ausgerechnet an einem Tag wie heute.
    »Hey, Belle!«
    Mein Hals fühlt sich wund an von all dem Erbrechen. Ich bin mir nicht sicher, wie ich klinge, wenn ich jetzt rede. Aber ich brauche natürlich nichts zu sagen, Brie schnattert ja ohnehin weiter.
    »Fühlst du dich schon etwas besser?«, schnattert sie. »Ich habe Obst für dich mitgebracht. Von meiner Mutter.«
    Brie hat einen Obstkorb dabei. Die verkaufen sie unten im Eingangsbereich.
    »Wo ist deine Mutter?«, frage ich.
    Ich glaube, ich habe etwas in der Nase. Ich merke es, während ich spreche.
    »Die holt mich nachher hier ab.«
    »Wieso kommt sie nicht mit?«
    »Dann sind wir mal unter uns. Wir sind doch Herzensfreundinnen?«
    Ich nehme ein Taschentuch von meinem Nachtschränkchen und putze mir die Nase. Oh nein. Da kommt es wieder.
    »Niere!«, rufe ich.
    »Niere?«
    Brie ist so was von saublöd. Sie ist viel zu spät. Es ist schon auf dem Bett. Ich drücke auf meinen Knopf-für-wichtige-Dinge. In Filmen würde jetzt die Polizei kommen. Und Brie abführen. Im Krankenhaus kommt die dicke Annie. Und mein Bett wird neu bezogen.
    »Würdest du bitte gehen?«, sage ich zu Brie.
    »Ich warte draußen auf dem Flur«, sagt sie.
    Annie gibt mir Medikamente. Müde machen die mich. Ich will schlafen. Ganz lange schlafen. Und wenn ich aufwache, ist Brie wieder weg. Und ich bin gesund. Und Oma auch. Und dann fahren wir in die Toskana. Zusammen mit Opa. Und Mama darf auch mit, wenn sie mit dem Rauchen aufhört.
    Ich träume, dass ich krank bin. Schlimmer geht es kaum. Überall, wohin ich komme, muss ich mich übergeben. AlleLeute bedauern mich. Und dadurch muss ich mich nur noch mehr übergeben. Es ist ein furchtbarer Traum.
    Neben meinem Bett sitzt jemand und liest. Auf Mamas Stuhl. Aber es ist nicht Mama.
    Wie müde ich mich fühle. Und wie schlecht! (Ausrufezeichen.) Es ist einfach nicht mehr schön. Wäre ich bloß nicht aufgewacht. Zu träumen, man wäre krank, ist immer noch besser, als wirklich krank zu sein.
    Wer sitzt da neben mir? Ich muss wacher werden. Auch wenn ich dazu überhaupt keine Lust habe. Ich öffne meine Augen weiter. Ich schaue noch etwas besser hin. Es ist Brie. Natürlich. Sie wollte auf mich warten.
    Wie lange habe ich geschlafen? Und warum wartet Brie nicht draußen im Flur? Und was liest sie da eigentlich? Eines meiner Bücher? Brie mag keine Bücher.
    Ich öffne meine Augen ganz. WAS?! NEIN! Verflucht und zugenäht! Was denkt die sich? Blöde Ziege! Dummer französischer Stinkkäse! Sitzt da und liest in meinem Schreibheft! Zum Kuckuck auch! Ich hasse Brie!
    »Gib her!«
    »He, was?«
    »HER DAMIT!«, schreie ich. »JETZT!«
    Wäre Brie ein Hündchen, dann hätte ich sie längst an die Leine gelegt. Aber Hündchen können nicht lesen. Brie blättert weiter, als hätte ich nichts gesagt. Was für eineblöde französische Tussi! Hat sie vergessen, dass ich krank bin? Dass ich zu bedauern bin? Dass sie nicht einfach so in anderer Leute Schreibheft lesen darf? In MEINEM Schreibheft!
    »Findest du mich doof?«, fragt Brie.
    »Jetzt schon«, sage ich.
    »Ja, aber auch schon die ganze Zeit über?«
    Diese blöde Brie hat es selbst

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