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Der Himmel kann noch warten

Der Himmel kann noch warten

Titel: Der Himmel kann noch warten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gideon Samson
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Fälle?«
    Das weiß Mama auch nicht. »Lass gut sein«, sagt sie. »Hier.« Sie hat die Nummer gefunden. Auf der Rückseite eines Kassenzettels.
    »Geh und iss deine Bonbons auf dem Flur weiter«, sage ich. »Dann rufe ich Oma an.«
    Mama nickt. Sie steht auf. Ihre Tasche nimmt sie mit.

    Eine Erinnerung.
    Ich war zehn. Genau zehn. Papa war vor drei Wochen davongelaufen und das hier wurde mein zweiter Geburtstag ohne ihn.
    Mama tat, als wenn nichts wäre. Das hasste ich. Sie sang und sie summte und sie backte viel zu viel Kuchen.
    »Niemand kommt«, sagte ich.
    »Was?«
    »Wir haben niemanden eingeladen.«
    Mama schüttelte den Kopf. »Macht nichts«, sagte sie. »Umso mehr bleibt für uns selbst übrig.«
    Sie hatte sich überlegt, dass es schön wäre, mir den ganzen Tag über Geschenke zu geben. Viel zu teure Geschenke. Ich versuchte, froh auszusehen, aber alles wardoof. Und Mama merkte natürlich, dass ich andauernd an Papa dachte.
    Das Telefon läutete. Mama sprang vom Sofa auf. »Nicht rangehen!«, rief sie.
    »Stell dich nicht an.« Ich ging zum Telefon und hob ab.
    Er war es.
    »Prinzesschen.«
    »Papa.«
    Wir waren still. Ich schaute zu Mama. Aus ihren Augen kamen kleine Blitze.
    »Feierst du schön?«, fragte Papa.
    Ich sagte, er wäre diesmal früher dran als im letzten Jahr. Ich fragte, wo er jetzt war. Papa wusste nicht, was er antworten sollte. Wir waren wieder still.
    »Ich lege jetzt auf«, sagte Papa zuletzt. »Viel Spaß noch heute, ja?«
    »Ja.«
    »Ich sehe dich bald, mein kleines Prinzesschen.«
    »Und wann?«
    »Bald«, versprach Papa. »Sehr bald.«
    Papa legte auf. Ich legte auf. Ich schaute noch einmal zu Mama. Die Blitze in ihren Augen hatten Platz gemacht für Tränen. Ansteckende Tränen. Sah man zu lange hin, dann weinte man wie von selbst mit.

    »Grüß dich, Oma.«
    »Hallo, Liebes.«
    »Wie geht es dir?«
    Oma macht immer sehr viel mit Blicken. Ich meine, mit ihren Augen. Am Telefon geht das natürlich nicht.
    »Liebe Belle«, sagt sie, »ich bin ja so stolz auf dich.«
    »Auf mich?«
    »Dass du das so gut hinbekommst.«
    »Was?«
    Oma sagt, sie wäre nach einem Tag im Krankenhaus schon völlig durchgedreht. Und es wäre unheimlich bewundernswert, dass ein Mädchen in meinem Alter das so lange aushält.
    »Ich habe keine Wahl, Oma.«
    »Das weiß ich, Liebes. Aber lass mich doch einfach stolz auf dich sein.«
    »Gut, Oma.«
    Wir sind eine Weile still. Ich will, dass Oma hier ist. Oder ich bei ihr.
    »Jani geht es nicht gut, oder?«, fragt Oma.
    »Er ist tot.«
    »Verdammt.«
    Wir sind wieder still. Was soll man auch sagen? Verdammt ist vielleicht genau das Richtige. Oder verflucht, das ginge auch. Oder auch: zum Kuckuck.
    »Wollen wir eine Wette abschließen?«, frage ich.
    »Was denn?«
    »Wer als Erste wieder aus dem Krankenhaus darf.«
    Oma gefällt die Idee. »Du gewinnst«, sagt sie.
    »Nein, du«, sage ich.
    Da ist Mama wieder. Sie ist nicht lange weg gewesen. Nur ein paar Minuten. Zum Aufzug gehen. Nach unten fahren. Nach draußen gehen. Zigarette rauchen. Hereingehen. Zum Aufzug gehen. Nach oben fahren. Zu meinem Zimmer gehen. Es stimmt genau. Ein paar Minuten.
    »Wollen wir jeden Tag telefonieren?«, frage ich Oma.
    »Gern«, sagt sie.
    »Tschüss, Oma. Ach, Mama will dich auch noch kurz sprechen.«
    Mama fragt Oma, ob Opa mit allem zurechtkommt. Mit Kochen und so. »Stein vom Herzen«, höre ich sie sagen. Und: »Gut, dass es noch solche Nachbarn gibt.«
    Oma und Mama plaudern noch etwas. Mama steht nahe bei mir. Sie riecht nach Dampf ablassen.

DU MISTSTÜCK!
    Ich fühle mich so krank. Nur gut, dass Oma stolz auf mich ist, sonst wüsste ich wirklich nicht, wie lange ich es noch aushalten kann.
    Heute habe ich mich schon zwei Mal übergeben. Man würde denken, dass man irgendwann einfach leer ist, aber dann kommt noch mindestens drei Mal Erbrechen hinzu. Es ist so eklig.
    Was für ein furchtbarer Tag.
    Schlimmere Tage kann es fast nicht geben.

    Eine Erinnerung.
    Ich war neun. In drei Wochen zehn. Ich kam mit Nina aus der Schule. Wir waren zusammen mit dem Rad gefahren. Mama saß drinnen auf dem Sofa und weinte. Ich sah es nicht, ich hörte es. Nina und ich standen noch draußen vor der Tür.
    »Vielleicht hat sie Schmerzen«, sagte Nina.
    »Du musst jetzt nach Hause«, sagte ich.
    »Sind es keine Schmerzen?«
    »Doch.«
    »Dann müssen wir ihr helfen«, sagte Nina. »Sie trösten.«
    Ich schüttelte den Kopf und sagte noch einmal, Nina müsste nach Hause. Trösten hätte

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