Der Himmel kann noch warten
Leute können bestimmen, wohin ich gehe.
Da fahre ich schon. Sie schieben mich einfach aus dem Zimmer. Mitsamt meinem Bett und allem. Zum Röntgen.
Ich schließe die Augen. Ich sehe einen Mann mit einem Fotoapparat. Er findet mich schön. Er sagt es die ganze Zeit. Ich lächele in den richtigen Augenblicken zurück. Es ist für eine Zeitschrift. Ich werde berühmt.
»Hoppla«, sagt Annie. Sie zieht die Bettdecke von mir herunter. Über mir hängt ein Apparat. Damit werden die Aufnahmen gemacht. In einem Verschlag sitzt eine Frau. Sie drückt auf einen Knopf. Schon fertig. Ich darf zurückgeschoben werden.
OPAS TRÄNENPULLI
Das Telefon klingelt. Das ist sicher Oma. Um zu plaudern. Denn Mama sitzt neben mir, die kann es also nicht sein.
»Hallo?«
»Prinzesschen!«
Es ist Papa. Der ruft meistens nur an, um etwas von sich selbst zu erzählen.
»Wir fahren morgen zum Flughafen«, sagt Papa.
Na, was habe ich gesagt?
»Renate und ich fliegen hin.«
Papa erzählt, dass Renate doch nicht so gern mit dem Auto bis in die Toskana fahren wollte. Und dass sie dann einfach so Flugtickets gebucht haben. Im Internet. Im allerletzten Augenblick.
Last minute
.
»Und darum reisen wir jetzt so Hals über Kopf ab«, sagt Papa.
»Wie schön«, sage ich.
»Ja«, sagt Papa, »das Wetter scheint dort wirklich wunderbar zu sein.«
Ich merke, dass ich weinen muss. Ich bin wirklich bescheuert. Natürlich gönne ich Papa eine Woche in einem Schloss. Aber mir selbst gönne ich sie noch viel mehr.
»Wie ist es bei dir?«, fragt Papa. Er merkt es nicht. Typisch Papa. Ich werde noch etwas lauter weinen müssen.
»Belle-Prinzesschen?«
»Ja?«
»Alles in Ordnung?«
Ich weine zur Antwort.
»Ist Mama bei dir?«, fragt Papa.
Ich schaue zu Mama. Sie weiß längst, dass Robert de Koning am Telefon ist. Ich gebe ihn ihr. Sie fasst sich kurz. Drei halbe Sätze. Dann legt sie auf.
»Wieso hat er angerufen?«, fragt sie.
»Er fliegt.«
»Ach.« Mama guckt wie eine schlechte Schauspielerin, die
wie schön für den Kerl
spielen soll. »Und wohin geht die Reise?«
Ich weine immer noch. Was habe ich nur in letzter Zeit? All die dummen Tränen.
Ich vergrabe den Kopf in mein Kissen. Mama legt mir ihre Hand in den Nacken.
»Er ist ein Arsch«, sagt sie. »Immer schon gewesen.«
Mein verheultes Gesicht schießt in die Höhe. »Nicht wahr!«, rufe ich. »Überhaupt nicht!«
»Doch«, sagt Mama. »Du bist jetzt alt und klug genug, es zu hören.«
»Nein!«, rufe ich. »Das bin ich nicht!«
Mama soll den Mund halten. Für derartige Äußerungen brauche ich sie wirklich nicht.
»Du willst es nicht hören«, sagt sie, »aber trotzdem ist es so.«
»Dazu hätte ich gern eine eigene Meinung!«
Mama nickt. »Hast recht, Liebes. Hast ja recht.«
»Wieso sagst du es dann?«
Mama zuckt mit den Schultern. »Ich weiß es nicht«, sagt sie. »Vielleicht finde ich es an der Zeit für dich, es zu hören.«
Zeit? Was meint sie? Dass ich demnächst sterbe, ohne gewusst zu haben, was für ein Mann Papa die ganzen Jahre über gewesen ist? Ist es das?
»Du spinnst«, sage ich.
»Meinetwegen«, sagt Mama. »Und jetzt rauche ich eine.« Sie geht weg.
Es ist angenehm, dass Mama es jetzt einfach sagt. Jedenfalls viel besser als
Dampf ablassen
oder
mal eben frische Luft schnappen
. Rauchen ist rauchen.
Als Mama wiederkommt, bin ich nicht mehr allein. Lies sitzt bei mir. Sie hält die Niere. Damit ich mich darin übergeben kann.
»Mädchen!«, ruft Mama, als sie uns sieht.
Ich kann im Augenblick nicht antworten. Ich bin beschäftigt. Mama kommt an mein Bett.
»Das ist doch nicht mehr normal!«, sagt sie zu Lies.
Das ist es wirklich nicht. Ich fühle mich so krank. Irgendwas stimmt nicht. Eigentlich müsste ich mich jeden Tag ein klein wenig besser fühlen. Aber daraus wird zurzeit nichts.
Die Operation liegt schon fast zwei Monate zurück. Damals sagte Doktor Baars es selbst. Jeden Tag ein klein wenig aufwärts, das wäre schön. Dann weißt du, worauf du hinarbeitest und dass du im Krankenhaus liegst, um wieder hinauszudürfen. Dass die Medikamente helfen und dass die Operation geglückt ist.
»Heute Nachmittag kommt der Arzt wieder«, sagt Lies zu Mama. »Mit den Aufnahmen. Dann schauen wir, wie die Dinge stehen.«
Ich fürchte mich vor heute Nachmittag. Doktor Baars hat gesagt, dass nichts schiefgehen könnte. Aber so krank wie die letzten Tage habe ich mich noch nie gefühlt.
»Lassen Sie den Mann auf der Stelle kommen!«, sagt
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