Der Himmel so fern
sympathisch. Hinter seiner dünnen Brille verbarg sich ein intelligenter Blick, er war schlagfertig und lachte viel. Dass ich keine engeren Kontakte zu meinen Kollegen pflegte, war bekannt. Dafür war meine Arbeitszeit zu kostbar, argumentierte ich, doch es kam durchaus vor, dass ich mir mit Adam Zeit für eine Tasse Kaffee nahm oder für ein schnelles Mittagessen um die Ecke. Ich weiß nicht, ob über uns geredet wurde, aber wundern würde es mich nicht.
Ich musste nach London, und für Adam war derselbe Flug gebucht. Das war Zufall, wir hatten verschiedene Kunden und verschiedene Meetings. Aber als sich herausstellte, dass nicht nur der Flieger derselbe war, sondern auch das Hotel, schwante mir, dass sich unsere Bürodame, ein schroffe Person in den Sechzigern, die mich noch nie ausstehen konnte, einen Spaß daraus gemacht hatte, uns einem weiterem Köcheln der Gerüchteküche auszusetzen.
Adam strahlte, als er mich am Gate erblickte. Es war ein warmer Junitag, er hatte sein Sakko über den Arm gelegt, um nicht mehr als nötig zu schwitzen. In meiner Aktentasche waren Laptop und Unterlagen schon vorbereitet, so dass ich sie an Bord sofort zur Hand hatte und loslegen konnte. Trotzdem freute ich mich, ihn zu treffen, und als er zwei nebeneinanderliegende Sitzplätze organisiert hatte, war ich einfach nur dankbar. Er machte mir Komplimente über mein Haar, meine Schuhe und meine Ohrringe, jene, die Mikael mir ein paar Tage zuvor geschenkt hatte. Vielleicht war mein Urteil doch etwas voreilig gewesen. Daher war ich sehr gut aufgelegt, obwohl mein Tag schrecklich früh begonnen und mein Frühstück nur aus einem Automatenkaffee vom Zeitungskiosk bestanden hatte.
Wir nahmen uns beide etwas Zeit, um unsere Unterlagen durchzugehen, aber die Gespräche zwischendrin wurden immer persönlicher, und ich gewährte ihm Einblicke in mein Leben, die ich bei der Arbeit oder vor Kollegen niemals zugelassen hätte. Wahrscheinlich war es seine Aufrichtigkeit, die mich dazu brachte. Er erzählte von einem Leben aus dem Koffer, wie sein Vater damals Offizier bei der Nato gewesen war und die Familie zwischen Ländern und Städten so oft herumreisen musste, dass er sich nicht einmal mehr genau an alle Wohnorte erinnern konnte.
»Ich sage zwar, dass ich aus Kanada komme, weil man irgendetwas antworten muss und weil ich einen kanadischen Pass habe, aber ich habe dort nicht mehr Zeit verbracht als anderswo auf der Welt. Es hatte zwar Vorteile, so viel herumzukommen, doch auch viele Nachteile. Ich kenne eine Menge Leute auf allen Kontinenten, aber Freunde habe ich nur wenige.« Er machte ein trauriges Gesicht. »
And worse
, ich habe dasselbe mit meinen Söhnen gemacht. Aber dank Nina haben sie nun wenigstens in Schweden Wurzeln geschlagen, also wer weiß, vielleicht bleibe ich ja hier.« Er lachte. »Und du, hast du dein Leben bisher in Schweden verbracht?«
»Ja, aber ich habe im Ausland studiert. An der London School of Economics.«
»Ich auch, aber sicher vor deiner Zeit.« Adam lächelte und saß eine Weile still da. »Es muss schön sein, ein richtiges Zuhause zu haben, festen Boden unter den Füßen von Kindesbeinen an.«
»Ich weiß nicht …« Einen Augenblick lang zögerte ich. »Ich weiß nicht, ob es tatsächlich an dem Ort liegt, ob man einen Halt in der Kindheit hatte.« Ich hatte nicht vor, darüber zu sprechen, wirklich nicht, aber mit einem Mal sprudelte die Geschichte aus mir heraus. Wie mein Vater die Familie im Stich gelassen hatte, als meine Schwester und ich noch klein waren, wie meine Mutter immer depressiver und passiver wurde, die Schule mein einziger Anker war und nur meine guten Noten mir Sicherheit gaben, weil sie vorhersehbar waren im Gegensatz zu allem anderen. In einer Prüfung alle Aufgaben richtig zu haben war nicht schwer, man musste nur dafür lernen, und ich begriff nicht, warum es nicht alle so machten. Jede hervorragende Leistung gab mir Selbstbestätigung, und mit Hilfe dieser Erfolgserlebnisse kam ich mit dem übrigen Leben klar.
Wir waren schon kurz vor Heathrow, als ich mit meiner Geschichte fertig war. Adam hatte die meiste Zeit still dagesessen und zugehört, nur manchmal einen Kommentar oder eine Frage eingeworfen, die mich aufs nächste Thema brachte, als ich eigentlich schon am Ende war. Er warf einen Blick auf seine Uhr.
»Ich habe ein Geschäftsessen heute Abend – ich schätze, du auch –, aber ich versuche es abzukürzen. Ich setze mich hinterher meist noch an die Hotelbar, um
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