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Der Himmel so fern

Der Himmel so fern

Titel: Der Himmel so fern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kajsa Ingemarsson
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Sie?«
    »Ich bin hier schon etwas länger. Gut sechs Monate vielleicht, doch es könnten genauso gut Jahre sein. Ein Tag ist wie der andere.« Valdemar sah unglücklich aus.
    »Ich bin hier auch schon länger, als ich es mir wünschen würde.« Annas Stimme war noch immer angespannt, und ihr Kinn sank Richtung Brust.
    »Und ich war der Meinung, dass unten auf der Erde alles nur neblig war …« Birger schnaubte. »Aber, verflucht, hier oben ist es ja noch viel diesiger. Ich weiß auch überhaupt nicht, wie lange ich schon hier bin. Ein paar Monate vielleicht. Ich glaube zumindest, dass es Sommer war, als ich da unten den Löffel abgegeben habe.«
    Wieder Schweigen. Da fiel mir auf, dass ich die drei, mit denen ich redete, ja sehen konnte. Nicht nur ihre Umrisse, sondern ihre Gesichtszüge und Körper, alles. Ob ich sie auch berühren konnte? Ich unterdrückte den Impuls, meine Hand auszustrecken, aber ich spürte ihn weiterhin, und mit einem Mal bekam ich eine richtige Sehnsucht danach, Stoff zwischen meinen Fingern zu fühlen. Oder Haut. Im Himmel hatte es bisher nur meinen eigenen Körper gegeben. Zwar war Arayan die ganze Zeit in meiner Nähe, und ich konnte ihn sehen und hören, aber wenn er sich mir näherte, fühlten sich seine Berührungen eher wie Wärme oder ein Kribbeln an, nicht wie eine echte Hand auf der Schulter. Und wenn ich versuchte, ihn anzufassen, war das Ergebnis das gleiche. Nicht einmal sein Aussehen war greifbar. Äußerlich ähnelte er einem Menschen, war aber größer als normal. Seine Gesichtszüge waren nur schwer zu erkennen, weil das Licht, das von ihm ausstrahlte, einen immer blendete, wenn man ihn länger anschauen wollte. Am schwierigsten war es mit den Augen, die leuchteten so intensiv, dass man ihm unmöglich in die Augen sehen konnte, doch wenn ich blinzelte, dann sah ich, dass das Licht sich auf zwei Punkte konzentrierte, die tief unter seiner gewölbten Stirn lagen. Das mit den Flügeln war auch so eine Sache, die ich nicht verstand. Er nannte sich zwar einen Engel, und mit etwas Phantasie konnte man sich das Licht um seinen Körper herum auch als Flügel vorstellen, aber ich hatte mich nie getraut, genauer nachzufragen. Genaugenommen kam ich mir allein bei dem Gedanken daran lächerlich vor.
    Jetzt stand ich jedenfalls anderen Menschen gegenüber, die ich sowohl hörte als auch sah, und mein Verlangen nach körperlichem Kontakt äußerte sich so intensiv, dass es mir fast unheimlich war. Auf der Erde, wo Mikael war, gab es keinen Körper, den ich berühren konnte. Ich konnte ihn sehen und hören, aber meine Finger konnten seinen Dreitagebart nicht spüren, wenn ich ihm übers Kinn streichelte, auch nicht die weiche Merinowolle seines Pullovers, mein letztes Geburtstagsgeschenk an ihn. In diesen Momenten musste ich meine Erinnerung bemühen, um das echte Gefühl an meinen Fingerspitzen wieder abzurufen. Das frustrierte mich sehr und machte mich unglücklich. Diese Methode war ebenso hoffungslos ineffektiv, wie wenn man versucht, Heißhunger durch den Gedanken an Schokolade, die auf der Zunge zergeht, zu unterdrücken.
    Die Personen, denen ich mich gerade vorgestellt hatte, waren echt, zumindest sahen sie echt aus. In Wirklichkeit gab es wohl keinen von uns. Arayan hatte ja gesagt, dass wir alle Geister seien, auch wenn es mir schwerfiel, das zu glauben, denn ich konnte die anderen ja sehen.
    Anna trug eine Jeans und eine altrosafarbene Bluse mit Stickerei. Auf dem Kopf hatte sie ein Kopftuch, man konnte nicht sehen, ob Haare darunter waren. Man würde sie wohl zwischen zwanzig und dreißig schätzen. Ihr Gesicht war schmal und blass, und die blauen Augen wirkten dunkler, als sie vermutlich waren.
    Anna und Valdemar sahen eigentlich ganz normal aus, bei Birger war das anders. Er hatte eine grobe Haut, und die roten Adern auf seiner Nase traten so deutlich hervor, dass es aussah, als sei er für eine Provinztheatervorstellung geschminkt. Seine Kleider passten nicht zusammen und waren schmutzig. Unter seiner Trainingsjacke kam ein T-Shirt zum Vorschein, das vermutlich ursprünglich schwarz-weiß gewesen war, nun waren es nur noch mehrere Abstufungen von Grau. Mit Not und Mühe hielt ein schmaler Ledergürtel seine Jeans am Bauch, und sein Haar, das unter anderen Umständen wahrscheinlich ein Pluspunkt gewesen wäre, hing ihm bis auf die Schulter, wo es sich kringelte. Dass Birger nicht in einer Vermögensverwaltung arbeitete, sah man auf den ersten Blick. Eigentlich konnte man ihn

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