Der Himmel ueber Dem Boesen
Merrily sah, dass Mrs. Lodge mit gesenktem Blick bewegungslos an der Spüle stand.
«Ich, ähm … ich will heute auch noch Mr. Hall besuchen. Sam Hall? Mir wurde gesagt, dass sein Haus hier irgendwo in der Nähe ist.»
«Ja, gehen Sie den Weg weiter hoch, dann sehen Sie seine Windmühle. Ist ein bisschen matschig da oben, aber Sie kommen schon durch. Ist Sam Hall ein Freund von Ihnen?»
«Ich habe ihn noch gar nicht kennengelernt.»
«Ganz netter Mann», sagte Mr. Lodge. «Stammt eigentlich von hier, dann ist er nach Amerika ausgewandert, und als er zurückkam, war er ein bisschen verschroben.»
«Ja?»
«Er nimmt manchmal meine Hunde auf Wanderungen mit. Liebt Hunde, sagt er, will aber selber keine haben, weil er findet, dass schon genug Hunde ohne besonderen Grund auf der Welt rumlaufen. Auf die Art verschroben.»
«Ah. O. k. Ich …» Sie fühlte sich noch unzulänglicher als sonst bei diesen Gelegenheiten. «Ich möchte Ihnen versichern, dass mir das, was passiert ist, sehr, sehr leidtut.»
«Danke. Aber Sie
wissen
eigentlich nicht, was passiert ist, oder?» Tony Lodge gab ihr seine Zusammenfassung von Roddys Leben, die er mit Filzstift auf eine halbe linierte Seite gekritzelt hatte. «Das weiß keiner von uns. Und das ist wahrscheinlich das Beste für alle.»
Gespenstisch ragte die Windmühle wie eine riesige, versteinerte Sonnenblume auf einer Lichtung am Rand des Hügels empor. Sie sah fremdartig aus und würde das wahrscheinlich immer tun,dachte Merrily. Das Haus stand ungefähr dreißig Meter von der Mühle entfernt, hinter einer etwa hüfthohen Mauer und den winterlichen Überresten von Gemüsebeeten.
Merrily zog ihre Wollhandschuhe an und ließ den Volvo am Ende des Weges stehen, wo er sich in einen Fußpfad verwandelte, der am Haus entlang und dann vermutlich zum Gipfel des Hügels führte – aber das konnte sie in dem Nebel, der hier oben vollkommen weiß war, nur erraten.
Trotz der hereinbrechenden Dämmerung brannte im Haus kein Licht. Aber nach allem, was Lol gesagt hatte, herrschte hier wahrscheinlich niemals gute Beleuchtung. Das Haus war ein Backstein-Bungalow, quadratisch und kompakt, mit kleinen Fenstern, wenig lichtdurchlässig, wie Gomers Brillengläser, und einem Sonnenkollektor auf dem Dach, der aussah wie eine Blase. Aus dem Schornstein stieg kein Rauch.
Die Holzpforte war nicht verschlossen, und Merrily ging hindurch, an Gemüsebeeten entlang, bis zu der Haustür unter einem hölzernen Vorbau. Sie konnte keine Klingel und keinen Türklopfer sehen und klopfte schließlich mit ihren behandschuhten Händen an die Tür. Keine Reaktion. Sie kehrte um.
Elektrizität und Strahlung,
hatte Lol aufgelistet
. Strommasten, Stromleitungen, Fernsehen und Mobilfunkmasten. Die Plage des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Hotspots. Und noch was, das er offensichtlich weder mir noch Moira sagen wollte.
Weder mir noch Moira. Moira und ich.
Warum wurde sie das nicht los? Sie waren schließlich alle erwachsen. Letzte Nacht hatten sie diese Worte bis in ihre Träume verfolgt. Im letzten Traum war ihr plötzlich klargeworden – mit der dramatischen Intensität, die nur Träume hatten –, dass Lol Robinson im Musikbusiness war … in dem jeder mit jedem schlief. Sie war frierend und unruhig aufgewacht, wieder mal. Sie wusste natürlich, dass Lol nicht so war – in mancher Hinsicht war er genau das Gegenteil, nach dem, was ihmvor Jahren passiert war. Aber er war unsicher, was seine Fähigkeiten betraf, und diese reife, erfahrene Moira Cairns gab ihm vielleicht die Bestätigung, die er nur von einem anderen Musiker bekommen konnte.
Oh Gott
. Um sie herum war Nebel.
Merrily hörte Schritte auf dem Weg, dann ein Schleifen im Matsch, die Geräusche waren irgendwo im weißen Nebel. Sie blieb hinter der Gartenmauer, die trotz der Handschuhe kalten Hände tief in den Manteltaschen vergraben.
Der Motor lief, damit die Heizung schneller warm wurde, er tat sein Bestes, aber es war ein altes Auto, und die Heizung brauchte eine Weile, um in Gang zu kommen.
Der Volvo stand neben dem Fußweg auf dem Gras, außer Sichtweite, wenn nicht Hörweite, von Sam Halls Ökohaus. Auf dem Beifahrersitz saß Mrs. Lodge in einem U S-Army -Parka, der viel zu groß für sie war. Sie hatte draußen auf dem Weg angefangen zu reden, mit hoher, missmutiger Stimme, aus der ihre südwalisische Herkunft herauszuhören war.
«Er ist nicht herzlos»,
jammerte sie
, «ich wollte nicht, dass Sie mit
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