Der Himmel ueber Dem Boesen
waren alle ganz aufgeregt, so hat das alles angefangen. Ich begreife das nicht –ich meine, es gibt ja nichts zu sehen. Es gibt ja keine Mauern und Ruinen, irgendwas, das man besichtigen könnte. Es sind nur Grabungsmarkierungen in der Erde.»
«Ich habe den Namen in der Gemeindehalle gesehen.»
«Sie wollten es auf den Ortseingangsschildern haben, aber irgendeine Historikerorganisation hatte was dagegen, sie haben gesagt, das sei nicht belegt, aber dagegen wehren die sich. Sie wollen ein Museum eröffnen mit den Dingen, die die Leute gefunden haben, und mit Landkarten und Videos und so – in der alten Kapelle. Sie bekommen Zuschüsse von der Lotteriegesellschaft.»
«‹Sie›?»
«Na ja, Mr. Crewe und Mr. Young von der Schule und der Typ, dem die Computerfabrik gehört. Solche Leute. Scheinen jeden Tag mehr zu werden. Aber sie haben eine Menge für den Ort getan, haben den Leuten Arbeit gegeben, also sind alle damit einverstanden. Und so, wie sie das darstellen, wird das in Zukunft alles ganz toll – mehr Touristen, mehr Jobs. Sie planen für Ostern eine große Eröffnung, mit Flugblättern und Zeitungsartikeln und Fernsehen und so. Das Letzte, was sie wollen, ist, dass der Ort jetzt mit einem Massenmörder in Verbindung gebracht wird. Guter Gott, nein,
jetzt
doch nicht.»
«Trotzdem ziemlich taktlos, so kurz danach bei Ihrem Mann aufzutauchen.»
«Sie mussten ja rechtzeitig vor der Beerdigung kommen. Sie waren aber ganz freundlich. Haben gesagt, sie würden dabei behilflich sein, dass alles diskret abläuft. Dass die Presse nichts mitkriegt. Dass ja jeder ein Interesse daran hat, hier anspruchsvollen Tourismus zu etablieren oder so, und bis es so weit ist, müssten wir auf unsere Außenwirkung achten.»
Merrily schüttelte den Kopf angesichts der Krassheit des Ganzen. «Das ist, auch unter normalen Umständen, nicht das Beste, was man einem alteingesessenen Bauern sagen kann.»
Cherry Lodge brachte ein Lächeln zustande. «Das stimmt.» Sie war eigentlich ganz hübsch; wahrscheinlich hatte es eine Zeit gegeben, in der Tony Lodge sein Glück überhaupt nicht fassen konnte. «Tourismus bedeutet für meinen Mann nur, dass Leute über sein Land trampeln und die Koppelgatter offen stehen lassen. Deshalb ist er gerade da oben – um Zäune zu reparieren und mehr Stacheldrahtzaun anzubringen. Er macht die Schotten dicht.»
«Das ist nicht gut, oder?», sagte Merrily vorsichtig und erntete einen weiteren dankbaren Blick.
«Als hätte er akzeptiert, dass wir jetzt den Rest unseres Lebens als Einsiedler verbringen sollen. Dass wir uns unten im Dorf lieber nicht mehr blicken lassen, weil wir für immer mit Roddys Verbrechen in Verbindung gebracht werden.» Tränen schimmerten in ihren Augenwinkeln. «Und diese Familie lebt hier schon länger als die. Länger als die
alle
.» Sie beugte sich vor. «Wissen Sie, was
ich
am liebsten machen würde? Ich würde unsere Geschichte am liebsten an die Zeitungen verkaufen. Wir hatten die Reporter ja schon hier, Massen von Reportern, und Tony hätte sie am liebsten mit der Flinte verjagt. Aber ich würde sie am liebsten zurückholen und jedem erzählen, wie Roddy wirklich war, wie seltsam er
wirklich
war –» Sie blinzelte. «Ich vergesse immer, dass Sie Pfarrerin sind. Ich spreche nicht so oft mit Frauen. Sie müssen ja denken –»
«Nein. Überhaupt nicht.» Merrily konzentrierte sich, froh, immer noch Janes Dufflecoat über dem Priesterkragen zu tragen. «Was würden Sie ihnen erzählen, Cherry? Was würden Sie ihnen über Roddy erzählen? Inwiefern war er seltsam?»
«Oh …» Cherry schien die Situation jetzt wieder unangenehm zu sein.
Zu eifrig. Du hast es versaut
. «Alles Mögliche. Tony hat mal ziemlich viel über ihn erzählt – was er alles nicht versteht. Es gibt doch immer jemanden in der Familie, über den man redet, oder? Jemanden, an dem man immer wieder verzweifelt. Nach demMotto: ‹Was hat er denn jetzt wieder gemacht?› Er war so was wie ein schwarzes Schaf.»
«Was für Sachen
hat
er denn gemacht?»
Cherrys braune Augen flimmerten. «Jetzt fragen Sie so konkret. Ich weiß nicht, ob ich –»
«Schon gut.» Merrily nickte schnell und drückte ihre Zigarette im Aschenbecher aus. «Tut mir leid. Ich hätte nicht fragen sollen.»
«Na ja. Ich habe Ihnen sowieso schon viel zu viel Zeit gestohlen. Und ich muss Mittagessen machen und alles mögliche andere. Nicht, dass er viel essen würde.»
«Ich bringe Sie wieder runter.»
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