Der Himmel ueber Dem Boesen
Merrily legte die Kupplung ein und biss sich auf die Lippe.
Wie sollte sie es anstellen …?
»Sie können mir so viel Zeit stehlen, wie Sie wollen und wann immer Sie wollen. Wann immer Ihnen alles zu viel wird und Sie reden wollen.»
Sie fuhr im Nebel rückwärts in die Büsche – noch mehr Kratzer –, bevor sie es schaffte, unbeholfen in drei Zügen zu wenden und den Volvo wieder auf den Weg zu bekommen. Sie fuhr im zweiten Gang den Hügel hinunter, den Fuß auf der Bremse, die Scheinwerfer an, bis das Bauernhaus sich düster in der nebligen Luft abzeichnete. Cherry war die ganze Fahrt über still geblieben, und als Merrily anhielt, machte sie keine Anstalten, die Tür zu öffnen.
«Sie sind keine gewöhnliche Pfarrerin, oder?»
«Na ja, die meisten haben –»
«Mr. Banks hat’s Tony gesagt. Was Sie machen.»
«Also, was Mr. Banks auch immer gesagt hat, ich glaube nicht, dass ich deshalb gefragt worden bin, ob ich die Beerdigung –»
«Sicher?»
«Wenn, dann hat es mir niemand gesagt.»
Cherry starrte aus dem Fenster. «Haben Sie E-Mail ?»
«Ja. Na ja, nein … der Computer zu Hause ist kaputt, aber ins Büro in Hereford können Sie mir mailen.»
«Schreiben Sie mir die Adresse auf? Sie brauchen nicht so überrascht zu sein, ich bin keine zurückgebliebene Bäuerin, ich mache jetzt seit vier Jahren die Buchhaltung, auf einem IB M-Computer . Hören Sie, wenn ich das alles aufschreibe und es Ihnen schicke, dann sieht es niemand, ja? Versprechen Sie mir das?»
«Möglicherweise sieht es meine Sekretärin. Die auch die Sekretärin des Bischofs ist. Und der Sie trauen können wie Ihrer Mutter. Aber –»
«Ich weiß zwar nicht, wozu es gut ist – ich glaube, wir hätten es der Polizei sagen sollen, aber das wollte Tony nicht. Als die Polizei uns von den Fotos an seinen Wänden erzählt und gefragt hat, ob wir irgendwas darüber wissen, und Tony gesagt hat, nein … Und nachher hat er gesagt: ‹Was spielt denn das jetzt noch für eine Rolle – abgesehen davon, dass alle denken:
Oh, die sind alle so, alle Lodges
. Übergeschnappt. Krank.›»
Merrilys Kehle war trocken. Der Nebel schien noch dichter geworden zu sein. Cherry öffnete die Beifahrertür, stieg aus und steckte noch einmal den Kopf herein.
«Das quält mich. Ich denke immer wieder, wir hätten vielleicht versuchen sollen, ihn dazu zu bringen, einen Termin beim Psychiater zu machen. Wir hätten diese Mädchen retten können. Ich meine, er war beim Arzt wegen der Kopfschmerzen, und
der
hat nichts gefunden.»
«Was immer es war, es haben wohl viele Menschen versäumt, darauf zu reagieren», sagte Merrily. Sie dachte an Pfarrer Jerome Banks. Sie dachte an ihre eigene feige Erleichterung, als ihr der Zugang zu Roddy Lodge im Polizeirevier von Hereford verweigert worden war.
Cherry sagte: «Das klingt jetzt dumm, aber letztlich geht es um Roddy und tote Menschen. Schon als er noch ganz klein war,war da diese Sache mit den Toten.» Sie lehnte sich an die Autotür und sah sich um, lauschte vielleicht auf das Geknatter des Quads. «Aber vielleicht übertreibe ich auch.»
27 Die Leuchte
Der Schulbus fuhr gerade an, als Jane aus dem Fenster Eirion sah, der vor seinem Auto stand, in seiner Schuluniform, im Nebel. Und ihr Herz klopfte so wie früher, als er den weiten Weg von seiner Schule in Hereford hergekommen war, weil er sie einfach sehen
musste
. Das machte sie ziemlich an.
Und heute war er bei diesem schrecklichen Nebel hergekommen.
Aber als sie sich durch den Bus drängelte, sah sie, dass er nicht lächelte. Von Anfang an war das Unglaublichste an Eirion sein Lächeln gewesen, und wenn es nicht da war, sah er fast ein bisschen schwammig aus. Im Moment zumindest. Vor allem durch den Nebel.
Früher – im März, April – hatte er, wenn er zu ihrer Schule kam, gesagt:
«Ich war gerade zufällig in der Gegend.»
Sie hatten beide gewusst, dass das hier keine Gegend war, in der man «zufällig gerade war». Seitdem war es ein geflügeltes Wort zwischen ihnen, und sie knutschten schon, bevor die Autotüren richtig zu waren. Aber heute Nachmittag …
«Ich hatte einfach das Bedürfnis, dich zu sehen.» Eirions Tonfall machte deutlich, dass es nicht um
diese
Art Bedürfnis ging. «Soll ich dich nach Hause bringen?»
Es wurde schon langsam dunkel, als sie in das neue alte Auto stieg. Es schien immer gerade dunkel zu werden, dachte Jane. Das Leben war eine einzige lange Abenddämmerung. Eirion ließ denMotor
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