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Der Himmel ueber Dem Boesen

Der Himmel ueber Dem Boesen

Titel: Der Himmel ueber Dem Boesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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Grundfesten seines Lebens erschüttert hatte. Sie hatte gestern Abend versucht, Gomer anzurufen. Ohne Erfolg.
    «Sie werden ein paar persönliche Dinge über meinen Bruder wissen wollen», sagte Tony Lodge. «Ich habe ein bisschen was aufgeschrieben – Geburtsdatum, wo er zur Schule gegangen ist, so was.»
    «Na ja, was ich eigentlich   …» Was Merrily vor allem wollte, war eine Zigarette. «Eigentlich unterhalte ich mich mit den Angehörigen des Verstorbenen, damit ich im Gottesdienst über sie als Menschen sprechen kann. Wir beerdigen keine Leichen, wir beerdigen Menschen. Wenn Sie verstehen, was ich meine.»
    Sie war nicht sicher, ob er das verstand. Es gab in diesem trostlosen, funktionalen Bauernhaus kaum etwas, das von echtem Kummer zeugte, nur von Resignation. Vielleicht waren die Bauern durch BSE, durch die Maul-und-Klauen-Seuche und die endlosen Formulare des Landwirtschaftsministeriums so geworden.
    «Sehen Sie   …» Mr.   Lodge saß ihr zugewandt da, schaute aber weniger ihr Gesicht als vielmehr den Raum zwischen ihnen an. «Ich will kein großes Brimborium. Ich will nicht, dass Dinge über ihn gesagt werden, die nicht stimmen, nur um den Schein zu wahren. Ich will, dass überhaupt nichts über ihn gesagt wird. Es soll einfach so schnell und würdevoll passieren, wie es geht. Viele Beerdigungsgäste wird’s sowieso nicht geben.»
    Merrily seufzte. «Ich fürchte, da werden schon einige kommen. Mit ziemlicher Sicherheit ein paar Polizisten und   … Reporter. Vermutlich sogar vom Fernsehen – so ungern ich das sage.»
    Er stand auf. Ohne die Stimme zu heben, sagte er: «Er war vom ersten Tag an verflucht, dieser Junge.»
    Hinter Merrily begann der Teekessel zu pfeifen, als würde er verlangen, dass sie ging. Sie stand ebenfalls auf. «Hören Sie, ich gebe Ihnen meine Nummer; wenn Sie noch einmal darüber nachdenken wollen. Rufen Sie mich einfach an, oder ich rufe Sie an. Wir müssen auch noch über die Auswahl der Lieder und diese Dinge sprechen   … Oh, und noch was – Roddy. Roddys   … Leichnam. Wo wollen Sie –?»
    «Ich weiß noch nicht genau, wann sie ihn freigeben. Die Obduktion hat schon stattgefunden. Die gerichtliche Untersuchung ist wohl morgen.»
    «Also   … sie wird morgen nur eröffnet», sagte Merrily. «Es wird eine kurze Anhörung geben, bei der ihn der Gerichtsmediziner identifiziert, anschließend kann die Leiche zur Bestattung freigegeben werden. Die restliche gerichtliche Untersuchung wird dann meistens noch wochenlang aufgeschoben.»
    «Das Schlimmste kommt also noch.»
    Wie hätte sie da widersprechen können?
    Mrs.   Lodge rannte geradezu an ihr vorbei, um den Kessel vom Herd zu nehmen. Aus der Nähe sah Merrily, dass sie einige Jahre jünger war als ihr Mann, auch wenn der Altersunterschied durch farbloses dünnes Haar und fehlendes Make-up verschleiert wurde – irgendwann im Leben musste ihr das Bedürfnis oder der Wille abhandengekommen sein, bemerkt zu werden.
    Merrily nahm ihren Mantel von der Stuhllehne; sie wussten beide, dass sie nicht zum Tee bleiben würde. «Wenn es   … irgendetwas gibt, das ich für Sie tun kann   …»
    «Sie machen also den Gottesdienst?»
    «Natürlich. Wenn Sie das möchten. Ich spreche mit Mr.   Banks, dann sehen wir, wann es für alle am besten passt.»
    Er nickte. «Und darüber hinaus», sagte er, «würde ich an Ihrer Stelle gar nichts machen. Bringen wir ihn unter die Erde, dann hat das alles ein Ende.»
    Eine trostlose Aussage in einer trostlosen Umgebung an einem trostlosen Tag. Merrily fragte sich, ob er nicht am Ende eifersüchtig auf seinen manischen jüngeren Bruder gewesen war, der durchs Land fuhr und viel Geld verdiente, während er selbst, der den Hof geerbt hatte, auf dem elterlichen Besitz wohnte und langsam verfaulte. War es so? Auf dem Weg zu den Lodges hatte sie das Gefühl gehabt, die Umstände ihres eigenen kurzen Treffens mit Roddy erklären zu müssen; jetzt aber glaubte sie nicht mehr, dass das irgendetwas geändert hätte.
    An der Tür sagte sie: «Ich meinte   … wenn es irgendetwas gibt, das ich tun kann, damit Sie beide besser damit zurechtkommen.»
    «Oh, wir überleben das schon.» Er lächelte schief. «In diesem Beruf haben es die meisten schon vor
langer
Zeit aufgegeben, auf Gottes Hilfe zu warten. Wenn derselbe Gott den Leuten auf demeuropäischen Festland hilft, unser Rindfleisch zu boykottieren, was soll das dann?»
    Das war wohl nicht der Zeitpunkt für eine theologische Debatte.

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