Der Himmel ueber Dem Boesen
an, und als sie vom Schulgelände gefahren waren, sagte er: «Jane, wir müssen uns mal unterhalten, glaubst du nicht?»
In wie vielen beschissenen Daily Soaps hörte man diesen Satz durchschnittlich pro Woche? Wenn man sie gucken würde. Jane versuchte sich eine genauso klischeehafte Antwort auszudenken, ihr fiel aber nichts ein.
«Worüber?», sagte sie schließlich.
«Na ja … über dich.»
Er nahm die kleinen Straßen nach Ledwardine, um die Fahrt in die Länge zu ziehen, so wie früher, als sie noch nicht zusammen waren, er aber darauf gehofft hatte. Bei dem Nebel würde das heute ewig dauern. Sie hatten in der Schule den ganzen langweiligen Tag über das Licht angehabt, weil der Nebel sich seit dem Morgen nicht gelichtet hatte. Im Literaturunterricht hatte sie ein paar scharfe Blicke von Mrs. Costello kassiert, die sie wirklich mochte, aber,
im Ernst
, war das Leben nicht ein bisschen zu kurz, um sich mit aufgeblasenen Trotteln wie Salman Rushdie zu beschäftigen?
«Ich, äh, hab mir die Versicherung nochmal angesehen», sagte Eirion. «Es ist wahrscheinlich o. k., wenn du das Auto auch fährst. Ich meine … an einem schöneren Tag als heute.»
«Ja», sagte sie. «An einem schöneren Tag.»
Ein schönerer Tag. Ein strahlender Neuanfang.
«Du bist so jung»,
sagten die Leute
. «Was ich alles machen würde, wenn ich nochmal in deinem Alter wäre.»
Womit sie eigentlich meinten, dass sie
zu ihrer Zeit
keine so tollen Möglichkeiten hatten.
Im Sommer, nachdem sie und Eirion sich zum ersten Mal
geliebt
hatten (es war für sie beide eine Premiere, wie sich später herausstellte), war es ein unglaubliches Gefühl gewesen. Als wäre man auf einen Berg gestiegen und alles läge einem zu Füßen: das ganze Leben ein glänzendes, endloses Grün.
Jane starrte mit finsterem Blick aus dem Fenster.
Sie hatten sich nicht «geliebt». Sie hatten Sex.
Und das war alles. Jetzt hatte sie es getan. Hatte es viele Male getan, und, sicher, manchmal – vorher, währenddessen und danach – fühlte es sich an, als wäre sie sehr verliebt und würde niemals einen anderen wollen …
Und in diesem Fall: War das
wirklich
schon alles? Sie war jetzt siebzehn, erwachsen. Und jetzt?
Und warum überhaupt? Warum sich aufregen? Es würde sowieso alles mit Tränen enden.
«Ich habe mich gefragt, warum du in letzter Zeit so negativ drauf bist», sagte Eirion.
«Oh, tatsächlich.»
«Und ob es irgendwas gibt, was ich dagegen tun kann.»
Die Autoheizung keuchte. Das Abblendlicht bohrte schmale Gräben in die graubraune Dunkelheit. Es war eine Situation, die früher anheimelnd geheimnisvoll gewesen wäre. Im Unterschied zu vollkommen bedrückend.
«Denn, wenn ich nichts tun kann», sagte Eirion. «Weißt du …»
«Was?»
«Ich weiß nicht.»
«Na, wenn
du
es nicht weißt …» Nach einer Weile nahm Jane die begrenzte Sicht nicht mehr wahr – Atmosphäre war schließlich nichts weiter als ein psychologischer Zustand, richtig? Was
passierte
mit ihr? Sie wollte nicht mal selbst fahren. Wozu auch? Irgendwann in zehn Jahren würde es sowieso einen Verkehrskollaps geben.
«Es ist, als würdest du alles kaputtmachen wollen», sagte Eirion. «Wenn es nicht genau so läuft, wie du es geplant hast, verlierst du sofort die Geduld.»
«Das Leben ist kurz. Sehr kurz für manche Leute.» Sie dachte an Layla Riddock, die noch nicht mal mit der Schule fertig war, als das große Pendel sie mit einem Hieb erledigte. An Nev. Sie dachtean den Tag, den sie mit Eirion in Wales verbracht hatte, wo er ihr diesen bestimmten Menhir zeigen wollte, der irgendwie einfach bloß wie … ein Stein ausgesehen hatte. Und Eirion war ganz betroffen gewesen, weil sie nicht
«Hey, Wahnsinn, fühlst du auch die Energie der Erde?»
gesagt hatte oder so was.
Jane merkte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen, als das Auto ein bisschen schaukelte. Sie dachte zuerst, Eirion wäre im Nebel über den Straßenrand gekommen, aber es war Absicht. Das Auto hielt, und er stellte den Motor ab. Jane sah aus dem Fenster – nur nasses Gras.
«Wo sind wir?» Sie wandte ihm den Kopf zu und wollte einen Moment lang einfach bloß sein altes Lächeln in der Düsterkeit sehen und ihm dann in die Arme fallen, und alles wäre in Ordnung.
Für eine Weile jedenfalls.
Wo fängt eigentlich eine klinische Depression an? In welchem Stadium bekommt man Pillen verschrieben?
Sie zog ihre Tasche auf den Schoß und faltete ihre Hände darauf: verschloss sich, war
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