Der Himmel ueber Dem Boesen
Seele.»
Sophie nickte. «Eine E-Mail kann sehr befreiend sein. Man kann Dinge loswerden, die man unter vier Augen am Telefon kaum sagen würde. Das Problem bei Briefen ist, dass sie nicht nur viel förmlicher sind, sondern dass man dazu neigt, sie nach einer Stunde oder so nochmal zu lesen und zu denken:
Das kann ich so nicht abschicken
, und dann zerreißt man sie. Aber eine E-Mail …»
«Man lässt alles aus sich herausströmen und hat
Senden
geklickt, bevor man seine Meinung ändern kann.»
«Für Leute – vor allem für Frauen –, die etwas abgelegen wohnen, ist das eine Zuflucht, ein Beichtstuhl … eine Rettungsleine. Vor allem für Frauen, die manches nicht mit ihren Männern besprechen können. Wahrscheinlich besucht sie auch Chatrooms. Wie zur Therapie. Oder um Gesellschaft zu haben.»
Merrily, die an Sophies Schreibtisch saß, sah auf, den Kopf zur Seite geneigt. «Ich habe mich schon oft gefragt, die Frage aber nie gestellt … sind Sie eigentlich bei den
Samaritans
? Die machen doch inzwischen außer Telefonseelsorge auch Problemberatung per Mail, oder?»
Sophie lächelte kurz und sah weg. Es war offensichtlich, wenn man darüber nachdachte. Und sie wäre sehr gut darin.
«Außerdem kann man eine E-Mail schreiben und abschicken, während die bessere Hälfte auch im Haus ist, ohne Gefahr zu laufen, belauscht zu werden. Man muss noch nicht mal heimlich den Briefkasten kontrollieren. Ich glaube, für viele Leute kommt das dem lauten Denken am nächsten. Oder dem lauten Weinen.»
«Ja.» Merrily dachte an Cherry Lodge und ihren IB M-Compu ter und ihre Buchhaltung. Tony Lodge hing vorm Fernseher, und seine Frau war in einem anderen Zimmer und machte die Buchhaltung, nachts, wenn es billiger war … während sie heimlich in der weiten Welt unterwegs war, in der grenzenlosen virtuellen Welt.
Merrily las den Ausdruck noch ein zweites Mal und markierte mit einem Stift die wichtigen Absätze.
Die Polizei hat mich und meinen Mann in Roddys Bungalow gebracht, und wir waren beide schockiert, weil wir nicht oft da gewesen waren. Sie haben sich nicht oft gesehen, Tony und sein Bruder, er war ja so viel jünger. Wir waren auf jeden Fall noch nie vorher in den Schlafzimmern. Ich war nicht so schockiert wie Tony, weil ich dachte, na ja, er war eben noch ein Junge, auch wenn er fünfunddreißig war, und nachdem er Single war und so, hat mich das nicht so schockiert. Ich meine, die schwarzen Laken und alles. Uns war bewusst, wie er sich seit seiner Selbständigkeit verändert hatte, wie viel selbstsicherer er war, vielleicht durch das Geschäft. Aber als wir die Bilder von den Frauen gesehen haben, hat Tony meinen Arm gedrückt, damit ich nichts sage, und als sie uns gefragt haben, ob wir wussten, dass er solche Bilder sammelt, von berühmten Frauen, die jetzt tot sind, mit aufgeklebten nackten Körpern von Pin-up-Mädchen, hat Tony gesagt, das würde für ihn überhaupt keinen Sinn ergeben, er sei einfach nur abgestoßen und hoffe, dass nicht öffentlich darüber geredet wird oder die Zeitungen es erfahren, weil alles so schon schlimm genug sei.
«Ich habe die Bilder gesehen, als ich mit Frannie Bliss in dem Bungalow war. Er hatte gehofft, dass ich irgendwas dazu sagen kann, aber für mich war das genauso mysteriös. Ich meine, ohne die Hintergründe zu kennen, wäre ich nie in der Lage gewesen, auf so etwas Bizarres zu kommen.»
Sein Vater war sehr religiös, also wurde im Haus nie darüber gesprochen, aber ich habe keinen Zweifel daran, dass alles mit dem Tod von Roddys Mutter angefangen hat, als er noch so klein war. Sie war einiges über vierzig, als sie ihn bekommen hat, und nie besonders fit, ewig kränklich, und sie haben immer gedacht, dass sie nicht besonders alt werden würde. Und dann war sie tatsächlich tot, bevor das Kind drei Jahre alt war. Die späte Schwangerschaft kam für sie völlig unerwartet und muss sie sehr strapaziert haben. Man sollte denken, der Alte hätte deshalb eine Abneigung gegen Roddy entwickelt, stattdessen war er sein Liebling, er hat Roddy als Geschenk Gottes angesehen, für das er einen Preis zahlen musste, und dieser Preis war der Verlust seiner Frau. Ich habe diese Logik nie verstanden, aber Roddy war für ihn immer etwas Besonderes. Wenn jemand eine Abneigung gegen ihn hatte, dann waren das Tony und sein Bruder Geoff, muss man wohl sagen, die ihre Mutter verloren hatten, die sie so sehr liebten, und statt deren sie nun Roddy
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