Der Himmel ueber Dem Boesen
hatten.
«Merrily, was, glauben Sie, meint sie damit?» Sophie zeigte auf die Worte
Geschenk Gottes
. «Gut, es war unerwartet, ein glücklicher Zufall – aber will sie damit wirklich sagen, dass er dachte, seine kränkliche Frau wurde von Gott gerade lange genug erhalten, um dieses …»
«Monster zu gebären?» Merrily schauderte.
Der Hof lief damals ziemlich gut, und der Alte war in der Lage, eine Haushaltshilfe zu beschäftigen, die sich tagsüber um das Kind gekümmert hat und über Nacht blieb, wenn es krank war, aber diese Frauen wurden nie zum Mutterersatz, weil sie nie lange genug da waren. Es war ein Männerhaushalt mit ein bisschen Hilfe bei den Mahlzeiten, beim Putzen und mit dem Kind.
Mein Mann hat mir erzählt, dass Roddy immer nach seiner Mutter gefragt hat, wie sie aussah und so weiter, und eines Tages warMarilyn Monroe im Fernsehen, und der Alte hat gelacht und gesagt: «So sah sie aus», und obwohl es im Haus ja Fotos von seiner Mutter gegeben haben muss, scheint Roddy von dieser Idee ganz besessen gewesen zu sein, und er hat angefangen, Bilder von Marilyn Monroe zu sammeln, die er in seinem Zimmer aufgehängt hat. Als einer seiner Brüder mal was dazu gesagt hat, meinte Roddy, das sei in Ordnung, weil sie tot sei. Und dann hat er Fotos von anderen Frauen gefunden, deren Äußeres er mochte, und wenn sie tot waren, sagte er, er würde sie für seine Mutter haben wollen, und hängte sie auch auf, und das schien ihn zu trösten, also hat sich niemand was dabei gedacht.
«Haben Sie so etwas schon einmal gehört?», fragte Merrily. «Wäre interessant, mit einer der Haushaltshilfen zu sprechen, oder?»
«Das hat die Polizei vielleicht schon getan.» Sophie nahm den Wasserkocher, um ihn noch einmal zu füllen. «Er hat seine Mutter neu erfunden: keine zwar würdige, aber eher unelegante Bauersfrau, sondern eine welterschütternde Schönheit mit glitzernden Kleidern und glänzenden Lippen.»
«Er hat eine Göttin aus ihr gemacht.»
«Eine Sexgöttin», sagte Sophie ruhig.
«Das kam später», sagte Merrily. «Lassen Sie uns erst mal über die psychische Verfassung des Kindes nachdenken. Ein Junge ohne Mutter, ein reiner Männerhaushalt. Er ist zu Hause ziemlich allein. Seine Brüder sind erwachsen und haben zu tun; sein Vater ist schon im fortgeschrittenen Alter und in jeder Hinsicht streng. Es ist insgesamt ein strenges Regime. Wir haben also ein Kind, das verzweifelt die Liebe seiner Mutter braucht und eifersüchtig auf alle anderen Kinder ist, die von ihren Müttern zur Schule gebracht werden.»
«Es geht also um das, was man Projektion nennen würde?», schlug Sophie vor.
«Oder einfach Erfindung? Manche Kinder haben eingebildete Freunde, Roddy hat eine eingebildete Mutter. Aber er sucht nach mütterlicher Liebe oder nach einer Situation, in der er die Kontrolle hat – die er normalerweise bei sich zu Hause nicht hat. Die Toten schubsen ihn nicht rum. Mit den Toten fühlt er sich nicht so klein und unbedeutend.»
«Ziemlich rührend, bei einem Kind.» Sophie nahm den Wasserkocher mit in den angrenzenden Waschraum. «Aber es kann nur ungesund werden, wenn er in die Pubertät kommt und seine aufkeimende Sexualität sich auf diese … ich glaube, wir wissen beide, worauf das hinausläuft. Es ist sehr schwer zu verstehen, warum sie das erlaubt haben.»
«Ein Haushalt arbeitender Männer. Wenn er dadurch nachts ruhig war …»
Sophies Stimme kam dünn aus dem Waschraum. «Nicht, wenn der Rest stimmt.»
Roddy hat immer Leute gesehen, die nicht da waren, hat er behauptet. Er schien keine Angst vor ihnen zu haben. Zuerst schien das einfach eine Phantasie zu sein, aber als sie gehört haben, dass er mit ihnen redet, nachts in seinem Zimmer, mit den Toten, na ja, das war ein sehr steifes, gottesfürchtiges Haus, und Gerede von Gespenstern und Geistern galt als extreme Sünde! Roddy hat eine Menge Ärger mit seinem Vater bekommen. Heutzutage würde man ihn natürlich zum Psychiater bringen, aber so etwas war damals immer noch mit einem Stigma behaftet, auch wenn es mir gar nicht so lange her zu sein scheint.
Als er älter wurde, schien es aufzuhören. Aber Tony nimmt an, dass er nur nicht mehr darüber geredet hat. Sie haben dem Alten nie etwas davon gesagt, weil sie wussten, dass es ihn quälen würde, aber es ist definitiv weitergegangen, bis Roddy auf die zwanzig zuging. Tony hat gesagt, er hätte ihn immer noch reden und kichern hören,mitten in der Nacht, in seinem
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