Der Himmel ueber Dem Boesen
sich.»
Piers Connor-Crewe zuckte zusammen. «Werden Sie uns endlich sagen, was genau Sie gefunden haben?»
« Gefunden
, Mr. Crewe?»
Sam Hall sagte: «Merrily, Sie haben gerade von der Möglichkeit gesprochen, dass Lynsey Davies jemand anderen dazu gebracht haben könnte, Melanie umzubringen. Möchten Sie uns das vielleicht näher erklären?»
«Also …» Sie entfernte sich ein paar Schritte von dem Sarg. «Ich glaube, wenn wir alles bedenken, was wir über Lynsey wissen …»
«Ich weiß inzwischen sogar noch ein bisschen mehr», sagte Bliss. «Mumford hat endlich angerufen. Es ist nicht viel, aber es bringt einen zum Nachdenken.» Er ging ein Stück den Mittelgang hinauf und lehnte sich an eine Bank. «Gehen wir alles noch einmal durch: Lynsey ist, ebenso wie Roddy, in einem Nonkonformisten-Haushalt am Rande des Forest of Dean aufgewachsen. Ihr Vater war Kohlenträger und außerdem Verwalter der Nonkonformisten-Kapelle des Ortes. Lynsey hatte noch drei Geschwister, sie war die Älteste. Sonntags mussten sie zwei Mal zum Gottesdienst gehen. Der Vater war streng. Sehr streng.»
«Lebt er noch?», fragte Sam.
«Nein, die Eltern sind beide tot, aber Mumford hat mit einer Schwester gesprochen, die Lynsey zwar seit Jahren nicht gesehen hat, sich aber daran erinnert, dass sie einmal aus der Schule nach Hause geschickt wurde, weil sie einen Mitschüler schikaniert hat … und dass sie diese Kapelle hasste.»
«Klar», sagte Sam.
«Ganz so einfach ist es nicht», sagte Bliss. «Eigentlich merkwürdig,dass man solchen Gegebenheiten nie auf den Grund geht, wenn es sich um ‹das Opfer› handelt. Und noch weniger, wenn es sich bloß um ‹ein› Opfer handelt.
Sie hasste diese Kapelle
bedeutete nämlich nur, dass sie diese Gemeinschaft, diese religiöse Ausrichtung hasste. Das Gebäude dagegen, das liebte sie sogar. Hat ihrem Vater manchmal den Schlüssel stibitzt und ist mit ihren Freunden nachts zum Spielen reingegangen.»
Bliss ließ seinen Blick durch die Kirche schweifen. «Und dann wurden eines Tages Spuren von diesen Spielchen entdeckt. Es gab einen Riesenskandal, und Mr. Davies verlor seinen Verwalterposten. Er war natürlich ganz und gar nicht glücklich darüber. Und er hat Lynsey für die Sache zur Verantwortung gezogen.»
Mumford hatte nicht genau erfahren, wie Lynsey bestraft worden war, doch bei den Geschwistern hatten lange Zeit Angst und Schrecken geherrscht. Die Schwester hatte Mumford erklärt, sie hätte kein sehr enges Verhältnis zu Lynsey gehabt. Aber eine Lehrerin hatte Lynsey für sehr begabt gehalten und die Eltern überredet, sie aufs College in Gloucester zu schicken – wahrscheinlich hatte sie auch ein Stipendium organisiert.
«Mr. Davies war vermutlich froh, dass er sie nicht mehr im Haus hatte», sagte Bliss. «Und ich denke, einige hier kennen den Rest der Geschichte. Wir haben es also mit einem sehr intelligenten Mädchen zu tun, das in einem überaus strengen Haushalt aufwächst und schon sehr jung beginnt, dagegen zu rebellieren. Der Schulausschluss, weil sie jemanden schikaniert hat, die Hinweise auf frühe sexuelle Abenteuer … all das zeigt schon in die Richtung, die sie später eingeschlagen hat.»
«Und die Verbindung eines religiösen Umfeldes mit einem sexuellen Kontext», sagte Merrily.
«Ganz genau. Und nun sind wir gespannt, was Sie dazu zu sagen haben, Mr. Crewe, denn von uns allen hier hat niemand Lynsey so gut gekannt wie Sie.»
Connor-Crewe sah Bliss nicht an. «Ich habe Ihnen schon alles erzählt, was ich weiß.»
«Sie sagten, Sie hätten nichts davon gewusst, dass Lynsey in der Cromwell Street war. Ich frage mich, ob das stimmt.»
«Wenn Sie vorhaben, mich wegen irgendetwas zu beschuldigen …»
Huw Owen sagte: «Nachdem die Cromwell Street erwähnt wurde, möchte ich ergänzen, dass wir nun wohl die ursprüngliche These, Lodge sei von West besessen gewesen, abändern müssen. Es war Lynsey, die von West besessen war.»
Bliss zuckte mit den Schultern.
Huw stellte sich ans Lesepult. «Niemandem gefällt der Gedanke, dass ein Mensch, und ganz besonders eine Frau, so verdorben sein kann, dass er sich von einer derart schändlichen Umgebung inspirieren lässt. Aber wir müssen uns dieser Wahrheit stellen. Ebenso wie wir uns der Tatsache stellen mussten, dass die Anzahl der Menschenleben, die in den zwanzig Jahren der Cromwell Street
zerstört
wurden, diejenige der Todesopfer noch weit übersteigt. Und selbst die Liste der
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