Der Himmel ueber Dem Boesen
Frau sagt, Lol ist schon weg.»
Cairns sah in Jeans und einem dicken Schafwollpullover viel jünger aus. Sie hatte sich abgeschminkt und die Haare hochgesteckt.
«Ja», sagte sie. «Er musste los.»
Er musste los?
Der große Star musste also los, und zwar mit einem total wichtigen Plattenproduzenten. Tschüs, altes Leben. Hallo, Hotelzimmer, hallo, ihr Groupies.
Jane biss sich auf die Lippe. Auf einmal fühlte sie sich in dem überfüllten Foyer sehr einsam. Sie hatte nicht mal Mom erreicht, der sie von Jenny Box’ Anruf erzählen wollte.
«Ich hab ihm versprochen, dass
ich
dich nach Hause bringe», sagte Cairns, während sie ihr Autogramm auf eine alte Schallplattenhülle schrieb, die so ein jämmerlicher Fan mitgebracht hatte. «Tut mir leid, dass es so zittrig geworden ist», sagte sie zu dem Jämmerling, «muss an meinem Alter liegen.»
«Sie sehen jünger aus denn je», sagte der Typ.
Jane fühlte sich, als sei ihr die vergiftete Klinge des Vertrauensbruchs mitten ins Herz gerammt worden.
«Ich kann den Bus nehmen», sagte sie spröde.
Allerdings gab es unter der Woche so spät überhaupt keinen Bus mehr nach Ledwardine. Jane sah sich kurz um. War Eirion noch irgendwo? Er konnte sie doch nicht wirklich verlassen haben. Bloß weil sie sich benommen hatte, als wäre sie verwöhnt und zickig. So war er nicht. Er liebte sie.
Beziehungsweise die Jane, die sie früher gewesen war. Und heute war er zum Konzert von Lol und Moira gekommen und
nicht
, um Jane zu treffen. Es war
vorbei
.
«Oder ich nehme ein Taxi. Ich habe genug Geld.»
Moira zog einen Schlüsselbund aus der Hosentasche und warf ihn Jane zu. «Grauer BMW, gleich vorm Bühneneingang. Ich bin in fünf Minuten da, muss nur noch kurz mit Prof reden, okay?»
Und damit drehte sie sich um, die eingebildete Kuh, und ließ Jane einfach mit den Schlüsseln in der Hand stehen.
Jane wirbelte herum und ging hinaus, wo sie gierig die frische Luft einatmete. Kein Mensch mochte sie mehr. Eirion nicht und nicht mal Lol. Sie war eine verwöhnte Meckerziege und dumm noch dazu. Sie war
negativ
. Sie war als negativer Mensch in einer negativen Welt aufgewachsen. Es war einfach alles total beschissen.
Als sie Moiras BMW gefunden hatte, schloss sie auf, stieg ein und drückte den Knopf herunter, um sich vor all den Drogis und Vergewaltigern zu schützen, die sich in der Stadt herumtrieben. Dann versuchte sie es noch einmal erfolglos bei Mom. Jenny Box hatte sie doch unbedingt vor der Beerdigung am Freitag sprechen wollen. Aber jetzt war die Beerdigung ja schon vorbei. Mom müsste zu Hause sein.
Müsste zu Hause sein.
Sie rief zu Hause an und hörte noch einmal den Anrufbeantworterab. Aber die Nachrichten endeten immer noch mit Jennys Worten
Oh Gott, er kommt zurück.
Als wäre Gareth Box ein gefährlicher Schlächter mit dem Hackebeil.
Inzwischen hatte ihre Versammlung keinerlei Ähnlichkeit mehr mit einem Gottesdienst. Elf Leute und eine Leiche. Keiner von ihnen hatte noch einen Grund, in der Kirche zu sein, nicht einmal der Tote.
Aber alle blieben.
Frannie Bliss hatte sich dicht an die Tür gestellt, als wolle er verhindern, dass jemand ging, während er die neue Situation durchdachte.
Es war so: Wenn Lynsey Davies Melanie Pullman wirklich umgebracht hatte, ergab sich ein neues und plausibles Motiv dafür, dass Roddy Lynsey umgebracht hatte. Ein
«normales»
Motiv.
Es hätte sogar ein Mord im Affekt sein können – eine spontane Reaktion, nachdem Lodge festgestellt hatte, dass seine Freundin von dieser verkorksten und gefährlichen Frau umgebracht worden war. Dann wäre er vielleicht mit ein paar Jahren Haft davongekommen.
Wenn
Lynsey wirklich die Täterin war.
Wenn
die Serienmorde nur in Lynsey Davies’ abseitiger Phantasie stattgefunden hatten.
Hast du einfach nur gestanden, um die Polizei und diese Hitze im Kopf loszuwerden?
Merrily legte ihre Hände rechts und links auf den Sarg, über die Stelle, an der Roddys Kopf sein musste. Sie sah ihn vor sich, wie er den Mast emporkletterte, sich an das Stahlskelett seines persönlichen Folterknechts hängte, wie er sich in die Arme von Kali der Zerstörerin warf, die tödliche Kerzen in den Händen hielt.
Von der Tür aus rief Frannie Bliss: «Ich weiß nicht, ob wir hierweitermachen sollen. Ich bin nicht befugt, alle Anwesenden zum Bleiben zu zwingen, aber wenn ich meinen Chef anrufe – und das sollte ich eigentlich jetzt sofort tun –, dann haben ein paar von uns noch eine lange Nacht vor
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