Der Himmel über Garmisch (German Edition)
»Und dort«, flüsterte sie, »dort liegt der Onkel Hubert. Den hab ich nicht so gemocht.«
Schwemmer sah ihren Vater an, dessen Atem plötzlich zu hören war. Er schien mit den Zähnen zu knirschen.
Das Touristenpaar kam den Weg hoch auf sie zu. Beide warfen neugierige Blicke auf Lena, aber als Rotloff sie anfunkelte, beeilten sie sich zum Tor.
»Mir geht es nicht so gut, wissen Sie«, sagte Lena, ohne Schwemmer anzusehen.
»Ja«, sagte Schwemmer. »Ich weiß.«
»Aber heute Morgen ging es mir gut, für einen Moment …«
»Als Sie das Foto in der Zeitung sahen?«
»Ja … das war eine große Erleichterung, das zu sehen. Dass dieser Mensch tot ist.«
»Sie hatten Angst vor ihm?«
Ihr Kinn begann zu zittern, sie rollte den Kopf ein paarmal hin und her, bis sie sich wieder unter Kontrolle hatte.
»Ja«, sagte sie. »Ich habe Angst.«
»Wollen Sie mir erzählen, was er Ihnen angetan hat?«
»Nein«, sagte sie.
»Hat er Sie veranlasst, die Anzeige gegen Ronald Unterwexler zurückzuziehen?«
»Ja.«
»Mit Drohungen?«
Sie sah starr auf die Gräber hinunter und antwortete nicht.
»Mit mehr als Drohungen?«, fragte Schwemmer.
Wieder begann ihr Kinn zu zittern. Ihr Vater fasste sie fest bei den Schultern.
»Viel mehr«, stieß sie hervor und begann zu schluchzen. Sie drehte sich zu ihrem Vater und presste ihr Gesicht gegen seine Brust. Ihre Sonnenbrille verrutschte, aber das spielte jetzt keine Rolle. Keuchend rang sie um Fassung. »Ein solches Schwein«, flüsterte sie heiser.
Schwemmer wartete mit betretener Geduld, bis sie wieder bei sich war.
»Ist er wirklich tot?«, fragte sie.
»Der Mann auf dem Foto ist tot. Aber wir wissen nicht, wer er ist. Wir müssen also wirklich sicher sein, dass es der Mann ist, den Sie meinen.«
»Darf ich ihn sehen?«
»Ja. Natürlich. Sind Sie denn sicher, dass Sie das durchstehen?«
Das Gesicht mit der riesigen Sonnenbrille wandte sich zum ersten Mal direkt Schwemmer zu.
»Und wenn es das Letzte ist, was ich tue«, sagte sie. »Ich will ihn tot sehen.«
***
Carlo sah ihn ungläubig an. » Das hat Kustermann gesagt? ›Die Zeiten ändern sich‹?«
Hardy zuckte die Achseln. »Er wollte das am Telefon nicht erläutern. Jetzt kommt ein Kollege.«
»Welcher?«
»Bolte.«
Carlo machte ein ärgerliches Geräusch. »Dummbart«, sagte er.
»Bolte ist nicht das Problem«, sagte Hardy. »Irgendwas geht vor in Nürnberg.«
»Ja ja … Wir müssen zurück«, sagte Carlo, aber es klang nicht, als ob er es auch meinte.
Die Zimmertür öffnete sich, und Ula kam herein.
»Braucht man hier nicht mehr zu klopfen?«, fuhr Carlo sie an.
»Entschuldige«, sagte sie leichthin und lächelte ihren Vater an. »Ich hab euch reden hören.« Sie setzte sich auf die Armlehne eines Sessels. »Was ist los mit Kustermann?«
Hardy sah Carlo fragend an. Carlo verzog den Mund, aber er nickte.
»Kustermann hat sich geweigert, herzukommen«, sagte Hardy. »Wir wissen nicht, warum.«
»Wofür brauchen wir ihn denn hier?«
Carlo seufzte und wandte sich kopfschüttelnd ab.
»Die Sache mit Reagan beginnt, aus dem Ruder zu laufen«, sagte Hardy. »Die Polizei wird bald herausfinden, dass Claude der Tote ist. Sie werden hier auftauchen.«
»Weiß Boris es auch?«, fragte Ula.
»Dreck. Ja«, sagte Carlo, ohne sie anzusehen. Er ging zur Bar. »Will jemand was trinken?«
Weder Ula noch Hardy antworteten darauf.
»Wie hat Boris reagiert?«, fragte sie.
Hardy sah zu Carlo, der sich einen Cognac einschenkte. »Er setzt uns die Pistole auf die Brust«, sagte er. »Fünfhundert will er haben.«
»Ist das nicht eine Menge?«, fragte Ula.
»Dreck. Ja. Ist es.« Carlo kippte den Cognac hinunter. »Es ist zu viel. Ich hab es verkackt. Hab mich überfahren lassen. Wie irgendein kleiner Straßengangster. Dreck. Ja, es ist zu viel … Wo bleibt dieser Bolte?« Er knallte das Glas auf die Bar.
»Beruhige dich, Carlo«, sagte Hardy leise. »Was soll er schon ausrichten, wenn er hier ist? Eigentlich brauchen wir ihn doch gar nicht.«
»Ich werde nicht in meinem Haus mit irgendeinem Bullen verhandeln!«
»Das werde ich schon machen.«
»Ja. Du. Hardy macht das. Langsam kommt es mir vor, als wärst du hier der Chef!«
Hardy schwieg. Ula sah ihn fragend an. Er machte eine kleine beschwichtigende Geste.
Carlo stand immer noch vor der Bar und starrte die Flaschen an. »Tut mir leid«, sagte er endlich.
***
Schwemmer blickte in den Rückspiegel. Rotloff und seine Tochter saßen im Wagen
Weitere Kostenlose Bücher