Der Himmel über Garmisch (German Edition)
Wettersteingebirges strahlten golden in der Morgensonne. Auch nach Jahrzehnten war ihr der Anblick der mächtigen Gipfel nicht gleichgültig.
Die Amerikaner mochten behaupten, in God’s own country zu leben, dachte sie. Sie waren zumindest nicht die Einzigen.
Sie goss die Emailleschüssel halb voll, warf sich wohlig das kalte Wasser ins Gesicht und rubbelte es anschließend trocken. Das Aufstehen fiel ihr hier auf dem Hof viel leichter als in ihrer Wohnung im Hotel. Aber sie konnte es nur selten einrichten, bei ihrer Mutter auf dem Meixner-Hof zu übernachten, und wenn sie ganz ehrlich war, wusste sie ja auch, dass der Aufenthalt hier nicht nur aus angenehmem Aufstehen bestand.
Sondern zum Beispiel auch aus dem Frühstück mit ihrer Mutter.
Magdalena liebte ihre Familie; ihre Mutter Reserl und ihren Großvater Melchior, den alle nur Maiche nannten; ihren jüngeren Bruder Wastl, obwohl sie wusste, dass er sein Studium in Frankfurt nur als Vorwand für das Leben eines Taugenichtses nutzte – ständiger Quell des Streites mit ihrer Mutter, die an ihrem Jüngsten einfach nicht zweifeln wollte. Immer noch sah sie in ihm das Ebenbild ihres geliebten Ehemannes, den ihr ein hinterhältiger Krebs binnen weniger Wochen geraubt hatte. Nach dem plötzlichen Tod des Vaters vor acht Jahren waren Magdalenas Gefühle für ihre Mutter noch intensiver geworden.
Aber leider machte das die Anstrengung nicht wett, die es sie kostete, vor ihrer zweiten Tasse Kaffee eine konzentrierte Unterhaltung zu führen. Und leider hatte ihre Mutter nie die Sensibilität aufgebracht, sie mit ihren Vorträgen zu verschonen, nur weil sie ein Morgenmuffel war.
Nach dem Zähneputzen öffnete Magdalena die Tür und stieg die steile Treppe zur Stube hinunter, in der Reserl bereits werkelte. Großvater und Knecht Hias hatten ihr Frühstück natürlich längst beendet.
»Endlich, du Langschläfer«, sagte ihre Mutter, ohne sich zu Magdalena umzudrehen. Sie war dabei, das gespülte Geschirr in den alten Schrank aus hellem Eichenholz zu räumen.
Ihre Stimme hatte diesen müden Klang, den sie häufig hatte seit Vaters Tod. Meist lag ein Vorwurf darin, als wäre Magdalena für ihre Situation verantwortlich. Magdalena hatte lange gebraucht, sich diesen Klang nicht mehr zu Herzen zu nehmen. Aber gerade morgens fiel es ihr schwer. Sie brummte irgendwas zur Begrüßung.
»I wollt gestern Abend ned drüber redn, weil der Maiche dabei war«, sagte Reserl, während sie Kaffee in einen Becher schenkte und ihn Magdalena hinstellte.
Magdalena setzte sich auf die Bank vor dem Fenster und griff nach dem Becher. Seine Wärme war angenehm und der Duft vielversprechend.
»Ärger?«, fragte sie und nahm einen Schluck.
»Maiche hat an Schedlbauer Berni im Wald gtroffn.«
»Wohin?«, fragte Magdalena und verfluchte sich sofort für diese dumme Bemerkung.
Reserl fuhr zu ihr herum. »Des is überhaupt ned witzig, Lenerl«, sagte sie scharf. »I woaß ja a ned, was er da gsucht hod. Woaßt, was der Maiche getan hod? Mit der Flintn hod er eam aus seim Wald gjagt. Mit der Flintn! Hoffentlich fängt jetzt ned alles von vorn an!«
Magdalena stöhnte auf. Das war starker Tobak für diese Uhrzeit. Die Fehde der Meixners und der Schedlbauers gehörte fast schon zur Folklore. Alle Meixners waren froh, dass die Geschichte irgendwann eingeschlafen war – oder besser: fast alle, denn Großvater Maiche hatte sich nie wirklich abgefunden mit dem, was er für eine Niederlage hielt. Berni war einer der Söhne von Sippenoberhaupt Rosemarie Schedlbauer, die jeder nur als Mirl kannte. Und nun waren ausgerechnet die beiden härtesten Kerle der beiden Familien aneinandergeraten.
Tatsächlich lagen die Ursprünge dieser Fehde so weit zurück, dass die verschiedensten Versionen davon im Umlauf waren. Magdalena neigte zu der ihres Vaters, wobei es dafür keinen konkreten Grund gab außer dem, dass eben ihr Vater sie erzählt hatte.
In dieser Fassung hatte Maiches Schwester Leni einen Antrag von Berni Schedlbauers Großonkel Max mit so drastischen Worten abgelehnt, dass der beleidigte Max die körperliche Auseinandersetzung mit Maiches älterem Bruder Edi gesucht hatte. Der Kampf war dann derartig unentschieden ausgegangen, dass er bei jeder Gelegenheit zwischen allen Mitgliedern der beiden Familien fortgesetzt wurde, auch nach dem Ableben aller direkt Beteiligten. Maiche war damals erst vierzehn gewesen.
Magdalena hatte aber auch schon die Version gehört, dass Edi Meixner dem
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