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Der Himmel über Kasakstan

Der Himmel über Kasakstan

Titel: Der Himmel über Kasakstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Schrei aus dem Bett.
    »O heilige Mutter von Kasan!« stammelte sie. »Um diese Zeit – es muß etwas Schreckliches sein.«
    »Laß die reaktionären Ausrufe, Weib!« sagte Konjew. Er griff nach dem Telefon und stellte es auf das Bett. Dann nahm er den Hörer ab und sagte zunächst einmal laut: »Ruhe!«
    »Wo bist du, Ilja?« fragte Tschetwergow.
    »Im Bett! Denkst du, ich fange Ratten, wie ihr in Alma-Ata?«
    »Stalin liegt im Sterben …«
    »Heilige Mutter von Kasan!« sagte Konjew erschüttert.
    Marussja grinste. »Reaktionär!« sagte sie zufrieden. Sie bekam einen gut gezielten Tritt und fiel jammernd aus dem Bett.
    »Was ist das bei dir?« fragte Tschetwergow, der den Krach hörte.
    »Ich habe nur mein Täubchen ermahnt, Genosse.«
    »Was soll nun werden, Konjew?«
    »Abwarten, Genosse Tschetwergow. Anderes können wir nicht tun. Es kommt darauf an, wer an die Stelle von Stalin tritt. Vielleicht wird es ein Karussell, und wir können gar nicht so schnell ›Hurra‹ und ›Nieder‹ brüllen, wie sie im Kreml sich abwechseln. Man kennt das ja noch vom Tode des Väterchens Lenin her. Wer damals Trotzkij den Bart streichelte, wurde von der anderen Seite ins Genick geschossen.«
    »Auf jeden Fall behalte Piotr Alexandrowitsch Tagaj im Auge. Wir haben nichts, was wir anbieten können, außer der Datscha. Und es findet sich immer ein Freund, der sie gebrauchen kann.«
    »Ich werde morgen früh zu Piotr Alexandrowitsch gehen.«
    »Morgen!« Tschetwergow hieb auf den Tisch. »Sofort! Wenn morgen der große Stalin tot ist, muß alles vorbereitet sein. Zieht Malenkow in den Kreml ein … dann warte ab und trink ein Täßchen Tee mit Tagaj … ist es Chruschtschow, dann tritt ihm in den Hintern und jage ihn in die Steppe hinaus.«
    »Wie Sie befehlen, Genosse«, sagte Konjew müde.
    »Ich befehle nichts … ich rate nur. Du bist alleiniger Herr deiner Handlungen.«
    »Es wird alles zum Wohle des Volkes geschehen.« Konjew gähnte, legte den Telefonhörer auf, stellte den Apparat zurück auf den wackeligen Stuhl, rollte sich zur Seite und schlief weiter.
    Nur Marussja blieb wach und saß im Bett.
    Stalin tot … war das möglich? Sie schlug – nach einem scheuen Seitenblick auf den schnarchenden Konjew – schnell drei Kreuze über der Brust und legte sich dann hin.
    Ob es besser wurde in Rußland?
    Ob es mehr Vieh gab?
    Ob die Norm herabgesetzt wurde?
    Ob es …
    Es waren viele Wünsche, mit denen Marussja einschlief.
    *
    In diesen Wochen war Wanda Kolzwoskaja gealtert. Zwei scharfe Falten hatten sich in die Mundwinkel eingegraben. Man wagte kaum noch, sie anzusprechen … die neuen Transporte wurden im Schnellverfahren untersucht … die Ärztin sah die nackten Sträflinge überhaupt nicht mehr an, sondern starrte vor sich auf den Boden.
    »Arbeit! Bergwerk! Arbeit! Bergwerk!« Wie eine gut geölte Maschine spuckte sie die beiden Worte aus sich heraus. Später sparte sie sich sogar die Beanspruchung ihrer Stimmbänder und winkte nur mit ihrer langen, schmalen Hand. Es war ein Wink in das Verderben … das Wegwischen eines Menschen in die Vergessenheit.
    Das Zimmer Nr. 4 wagte bisher niemand zu betreten. Die Scheu war sogar so groß, daß jeder auf dem Gang sich schnell an der Tür mit der flammenden Aufschrift ›Lebensgefahr‹ vorbeidrückte, als könne ihn aus diesem Zimmer eine tödliche Gefahr anspringen.
    »Wer liegt eigentlich in dem Zimmer?« fragte jeder neue Kranke, der von Stephan ein Bett bekam.
    »Ein einzelner Mann. Mehr weiß ich auch nicht!«
    »Und was hat er?«
    »Den Hintern an der gleichen Stelle wie ihr …«
    Wanda Kolzwoskaja sah jede freie Minute nach dem Befinden Boris'. Die Furunkulose war nicht zum Ausbruch gekommen. Bis auf ein allgemeines Unwohlsein, ein heftiges Erbrechen und eine allergische Rötung der Haut hatte sich nichts gezeigt. Das Wunder, auf das sie gewartet hatte, war eingetreten.
    Was zurückblieb, war eine allgemeine Schwäche. Die Kolzwoskaja schaffte an Essen heran, was sie bekommen konnte, ohne aufzufallen. Nachdem die akute Gefahr vorbei war und das Verschwinden Erna-Svetlana Bergners keine Kontrolle ausgelöst hatte, fuhr sie zweimal in der Woche mit einem alten Auto oder einem Lagertransportwagen in die Stadt Ust-Kamenogorsk und kaufte ein.
    Fleisch, Butter, Wurst, frisches Obst, starken Krimwein, Eier. Ihr ganzes Gehalt gab sie dafür hin. Sie kaufte sogar ein Hemd und Unterwäsche für Boris, einen gestreiften Schlafanzug und ein Paar neue, dicke Schuhe.
    Einmal

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