Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Himmel über Kasakstan

Der Himmel über Kasakstan

Titel: Der Himmel über Kasakstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
jetzt aus der Liste, daß Boris seine bisherige Haftzeit nur im Lazarett zugebracht hatte und überhaupt nur wenige Tage unten im Berg gearbeitet hatte. »Seit wann liegt bei Ihnen ein Sträfling länger als drei Tage, Genossin Kolzwoskaja? Bisher waren sie entweder arbeitsfähig oder tot! Kann ich den Burschen mal sehen?!«
    »Bitte!« Die Kolzwoskaja hob die Schultern. Sie knöpfte ihren weißen Arztkittel zu, nahm aus einer Steriltrommel eine weiße Haube und ein Mundtuch, band es um, stülpte die Mütze über die Haare und zog sich lange, gelbe Gummihandschuhe an. Oberleutnant Kaljus runzelte die Stirn.
    »Was soll das, Genossin?!«
    »Sie wollten den Kranken sehen … bitte, kommen Sie!«
    Zögernd folgte ihr der Oberleutnant über den langen Gang bis zur Tür des Zimmers 4. Dort blieb er stehen und starrte auf die rote Beschriftung.
    SARASA.
    Und darunter, quer über die ganze Tür: DLJA SHISNI!
    Die Kolzwoskaja erfaßte die Klinke, nachdem sie das Mundtuch zurechtgerückt hatte. Kaljus hielt ihre Hand fest.
    »Was hat er denn?«
    »Eine hochvirulente Infektion! Einmal einatmen kann schon den Tod bedeuten. Wir haben noch kein Gegenmittel …«
    Oberleutnant Kaljus wich von der Tür zurück. »Lassen Sie zu, Genossin Kolzwoskaja. Es ist ja nur meine Pflicht, mich nach der veränderten Lage genau zu erkundigen. Wahrscheinlich wird Boris Horn auch entlassen …«
    »Entlassen?« Das Gesicht der Kolzwoskaja versteinerte sich. »Man kann einen Todkranken nicht entlassen.«
    »Er wird in ein staatliches Hospital kommen. In eine Spezialbehandlung!«
    »Dort weiß man genausowenig wie hier! Es gibt noch keine Mittel!«
    »Es ist Befehl, Genossin!« Oberleutnant Kaljus hob die Schultern mit den breiten Schulterstücken. »Man wird die wegen Stalingegnerschaft Verurteilten bald wie rohe Eier behandeln. Der Wind dreht sich.«
    Er grüßte und verließ schnell den Gang und die Tür, hinter der eine unheilbare Krankheit verborgen war. Die Kolzwoskaja blieb wie vor den Kopf geschlagen zurück und hielt noch immer den Griff der Tür in der Hand.
    Er wird entlassen … Es war alles umsonst … Die Mühen, die Sorgen, die schlaflosen Nächte, die geheimen Träume, der bestialische Kampf gegen das Mädchen Erna-Svetlana, der Betrug gegenüber einer Welt, in der der eine den anderen zerfleischt. Es war alles umsonst …
    Sie ließ die Klinke los und ging zurück in ihr Zimmer. Dort warf sie die Kappe, das Mundtuch und die Gummihandschuhe auf die Erde und setzte sich an das Fenster. Durch die Gardine sah sie, wie die zur Begnadigung vorgesehenen Gefangenen in Gruppen zu dem neuen Haus geführt wurden … schwankende Gerippe, halb verhungert im Bergwerk, entnervt, ausgelaugt von Tuberkulose, Dystrophie, Furunkulose. Männer, die zu keiner Regung mehr fähig sind, weder zu Freude noch zu Schmerz, Knochen, mit Haut überspannt … Menschen, die durch ein einziges Wort der Kolzwoskaja: »Arbeitsfähig!« das Gesicht und das Wesen eines Menschen verloren.
    »Was wird sein, wenn Boris entlassen wird?« dachte sie. Wie kann ich hier weiterleben, umgeben von Haß und Ekel, Rache und Kriecherei? Muß ich noch grausamer werden, um alle menschlichen Regungen in mir zu ersticken und zu verlernen, über mich selbst nachzudenken? Ein ganzes Leben lang … vergessen durch Grauen …
    Ihre Ohnmacht zu handeln, versetzte sie in Wut. Sie trommelte mit den Fäusten auf die Stuhllehne. Ihre Haare flogen ihr in das gerötete Gesicht. Als sie ihren Kopf voll wilder Schönheit im Spiegel sah, ergriff sie eine Haarbürste und warf sie in das Glas. Klirrend zerbarst der Spiegel, fast im gleichen Augenblick, in dem Oberst Denikinow ins Zimmer trat.
    »Nanu?« sagte er verblüfft. »Der Spiegel war doch noch gut.«
    Die Kolzwoskaja fuhr wie ein gereizter Panther herum.
    »Können Sie nicht anklopfen?« fauchte sie.
    »Das habe ich getan. Aber Sie überhörten es durch Ihr rhythmisches Trommeln.« Oberst Denikinow grinste. »Ich dachte, Sie hätten sich eine Trommel gekauft. Erschüttert Sie der Tod Stalins so sehr, Genossin?«
    »Bitte gehen Sie!« Die Kolzwoskaja keuchte. Sie spreizte die Finger, als wolle sie sich auf den Oberst stürzen und ihm das Gesicht zerkratzen.
    Denikinow verbeugte sich knapp. »Sofort, Genossin. Ich bin nur gekommen, um Ihnen mitzuteilen, daß die Lagerleitung Sie der militärischen Zentrale zur Verfügung stellt. Weiteres werden Sie aus Moskau erfahren.«
    Wanda Kolzwoskaja wich zum Fenster zurück. Sie bemühte sich nicht, die

Weitere Kostenlose Bücher