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Der Himmel über Kasakstan

Der Himmel über Kasakstan

Titel: Der Himmel über Kasakstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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kasch und heizte die kleine banja, wenn der dicke Jossif seine tägliche Sauna nahm.
    Nur frühmorgens, wenn die Kolonnen aus dem Lager wegzogen zu den Bergwerken, und abends, wenn die Kolonnen müde, mit schleifenden Schritten und sich gegenseitig festhaltend, wieder ins Lager getrieben wurden, stand sie hinter der verschlissenen Gardine am Fenster und sah hinaus auf die Straße, die an der Bäckereibaracke vorbeiführte. Sie suchte unter den Hunderten Gesichtern ein Gesicht … sie suchte unter den Hunderten gekrümmten und gequälten Gestalten eine Gestalt … sie tastete mit den Blicken die Reihen ab … jeden Morgen und jeden Abend …
    Aber sie sah Boris nicht.
    Nach drei Wochen glaubte sie wirklich, daß er nicht mehr lebte …
    *
    An einem Abend zog eine spürbare Unruhe durch den ganzen Lagerbereich von III/2398.
    In der Offiziersbaracke hörte man erregte Stimmen … die Milizsoldaten standen in Gruppen herum und tuschelten … die Lagerältesten und Spitzel flüsterten es sich zu … in der Küche brannte zum erstenmal seit 6 Jahren die Hirsesuppe an. Aber niemand wurde deswegen bestraft …
    Durch das Lager zog das Gespenst eines Gerüchtes, lähmend, Schrecken verbreitend auf der einen Seite … Hoffnung erzeugend auf der anderen Seite. Keiner wußte, wer das Gerücht mitgebracht hatte, keiner wußte, ob in ihm ein Quentchen Wahrheit enthalten war.
    Im Kreml liegt der große Stalin im Sterben …
    Oberleutnant Sergeij Pantalonowitsch Kaljus war der erste, der darauf angesprochen wurde. Ein Spitzel näherte sich ihm und strich nahe an ihm vorbei.
    »Stalin verreckt!« sagte er leise. »Wir müssen uns umstellen, Genosse …«
    »Ich habe nichts davon gehört!« sagte Kaljus ebenso leise.
    »Das ganze Lager spricht davon.«
    »Eine reaktionäre Parole! Wir werden den, der sie aufbrachte, liquidieren.«
    Er ging schnell weiter und verschwand in der Offiziersbaracke. Dort sah er auf den Kalender, der neben dem runden Spiegel an der Wand hing.
    4. März 1953, las er.
    Er stellte das Radio an, Sender Moskau.
    Lustige Volksmusik tönte aus dem Lautsprecher. Man würde sie nicht spielen, wenn der große Stalin …
    Kaljus lächelte. Ein Lagerkoller, dachte er. Irgendeiner tat sich wichtig, und die anderen siebentausend Idioten glauben es ihm. Man sollte dem Kommandanten vorschlagen, den phantasievollen Hunden die Brotration um ein Drittel zu kürzen. Das führt schnell und sicher in die Wirklichkeit zurück.
    Er stellte das Radio ab und schlenderte hinüber zur Offizierskantine. Hauptmann Perwuchin vom Sicherheitsdienst Ust-Kamenogorsk hielt einen lautstarken Vortrag, was geschehen würde, wenn Malenkow der Nachfolger Stalins würde, und was geschähe, wenn Chruschtschow sich an die Spitze der Sowjetunion schob.
    »So oder so«, sagte er mit bewundernswerter Logik, »wird alles anders. Es kann vorkommen, daß eine Reihe unserer Häftlinge –«, er sagte vornehm Häftlinge und nicht mehr Sauhunde – »voll rehabilitiert wird. Eine große Zahl ist hier wegen Diffamierung des stalinistischen Kurses. Ich schlage vor, die Akten schnellstens durchzusehen und diejenigen Häftlinge in einem Seitenblock abzusondern, die alle Aussicht haben, als freie Sowjetbürger wieder in den Schoß unserer Gemeinschaft zurückzukehren.«
    »Blödsinn«, sagte Oberleutnant Kaljus laut. Alle Köpfe fuhren zu ihm herum. Erstaunte, empörte, entsetzte, schadenfrohe Blicke musterten ihn. Hauptmann Perwuchin galt als einer der kommenden Männer, wenn Stalin gestorben war. »Ihr glaubt diesen Blödsinn mit Stalins Tod?«
    »Überall spricht man davon! Auch in der Stadt! Es geht wie ein Steppenfeuer im Sturm über das Land!«
    »Und Radio Moskau sendet Tanzmusik!« Kaljus tippte lachend an seine Stirn. »Ihr seid alle hysterisch und solltet euch von der Kolzwoskaja ein Spritzchen geben lassen.«
    »Man verschweigt es, um das Ausland zu täuschen«, schrie Hauptmann Perwuchin.
    »Dann schweig du auch!« Kaljus ging an die Theke. »Einen Wodka doppelt!« bestellte er laut in die Stille hinein. »Solange es Wodka gibt, ändert sich wenig in Rußland!«
    Was Sergeij Pantalonowitsch Kaljus nicht wußte, das wußte in Alma-Ata der flinke und immer auf dem neuesten Stand der Dinge bleibende Genosse Stephan Tschetwergow. Seine Telefonverbindung mit Moskau war sicher und glaubwürdiger als alle amtlichen Berichte und Dementis.
    Es war nachts ¼ nach 2 Uhr, als das Telefon bei Ilja Sergejewitsch Konjew in Judomskoje klingelte. Marussja fuhr mit einem

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