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Der Himmel über Kasakstan

Der Himmel über Kasakstan

Titel: Der Himmel über Kasakstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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habt ihr mich nicht sterben lassen …«
    *
    Olga Puronanskija kam mit fliegendem Rock zu ihrem Geliebten, dem Bäckermeister Jossif Kaledin, gerannt. Atemlos ließ sie sich auf den Stuhl fallen, der in einem Zimmer neben der Backhalle stand und in dem Kaledin seine Abrechnungen fertigmachte. Ihr mächtiger Busen wogte wie ein Meer in der Sturmflut. Kaledin betrachtete wohlwollend dieses Naturschauspiel und grinste zufrieden und mit dem Stolz des Besitzers.
    »Was ist denn so Eiliges, golobuschka (mein Täubchen)?«
    »Es werden vierhundertsiebenundachtzig Mann begnadigt«, sagte sie außer Atem. »Ich habe sofort mit Kaljus gesprochen. Ein Boris Horn ist auch darunter!«
    »Boris Horn? Nie gehört? Wer ist'n das?«
    »Der Mann unserer Erna-Svetlana! Ich habe nie geglaubt, daß es ihn gibt. Nur zufällig frage ich danach, weil mir es einfiel. Aus einer Laune heraus. Und da sagt der Kaljus: Ja, der ist auch dabei! – Hei, bin ich doch bald umgefallen! So erschrocken bin ich.« Olga Puronanskija wischte sich mit einem Taschentuch über den Hals und hinein in den Kleidausschnitt über den Brustansatz.
    »Wir müssen es ihr sagen, Jossif!«
    »Und wenn es ein anderer Boris ist? Boris gibt es wie Sonnenblumen auf den Feldern.«
    »Aber keinen Boris Horn.«
    »Wir müssen erst wissen, ob es der Richtige ist. Wo ist er denn? In welcher Lagergruppe?«
    »Bei der Kolzwoskaja im Lazarett.«
    »O weh!« Kaledin kratzte sich den Kopf. »Dann ist er nur noch ein halber Mensch. Ich werde ihn mir ansehen. Ich werde einfach sagen, daß die Abrechnung des Lazaretts über die Brote nicht stimmt. So komme ich an ihn heran, während die anderen rechnen …«
    »Soll ich es Svetlana schon sagen?« Olga wedelte sich mit einem Taschentuch frische Luft zu. Kaledin schüttelte den Kopf.
    »Das hat Zeit, golobuschka. Eine gute Nachricht ist wie Medizin … man soll sie tropfenweise geben. Dann wirkt sie besser.«
    Er wollte seine Jacke nehmen, aber er kam nicht mehr dazu, sie überzuziehen. Erna-Svetlana stürmte in das Zimmer. Ihre goldgelben Haare flogen um ihr blasses Gesicht, aber diese Blässe war durchzogen mit einem Leuchten, als würde die Haut von innen mit einer Lampe beschienen.
    Sie hielt sich am Türrahmen fest, als sie Olga Puronanskija sah. »Sie werden freigelassen!« rief sie. »Hunderte werden freigelassen! Boris wird auch darunter sein! Er wird frei sein! Frei!«
    Das letzte Wort war ein Schrei. Dann krallte sie sich an das Holz des Türrahmens fest, aber sie hatte keine Kraft mehr, sich festzuhalten. Jossif Kaledin fing sie auf und schleifte sie zu dem Stuhl, auf dem Olga gesessen hatte. Er ließ Wasser über ein schmutziges Handtuch laufen, bedeckte die Stirn Erna-Svetlanas damit und sah dann hilflos zu Olga hinüber, die mit wiegendem Kopf an der Tür stand.
    »Steh nicht herum«, brummte er. »Tue etwas! Soll sie sterben, bevor sie ihren Boris wiedersieht?!«
    »Dazu ist sie zu zäh.«
    »Kümmere dich um sie. Ich laufe hinüber zum Lazarett. Vielleicht ist alles anders …«
    Er knöpfte seine Jacke zu und rannte aus dem Zimmer. Olga setzte sich neben Erna-Svetlana und legte ihren Arm um ihre Schultern. Sie sah auf den hohen Leib des Mädchens. Noch zwei, höchstens drei Monate, dachte sie. Was wird dann werden, wenn ihr Boris nicht bei den Begnadigten, wenn er längst tot ist und in einer der großen Gruben außerhalb des Lagers liegt?
    Die Hand Erna-Svetlanas tastete nach dem feuchten Handtuch.
    »Er muß dabei sein«, sagte sie leise.
    »Gewiß. Gewiß.« Olga Puronanskija nahm das Tuch fort. Die Augen Svetlanas waren starr zur Decke gerichtet.
    »Wir werden eine richtige, glückliche Familie sein …«
    »Glücklich.« Olga rümpfte die Nase. »Das Wort ist teurer als ein Edelstein …«
    *
    Hauptmann Perwuchin holte Boris Horn aus dem gemiedenen Zimmer Nummer 4. Die Kolzwoskaja lag in ihrem Sanitätsraum auf der Untersuchungspritsche und trommelte mit den Fäusten auf das Holz. Oberleutnant Kaljus stand neben ihr, mit hochrotem Kopf, die Hände in den Uniformtaschen.
    »Es ist unwürdig, Genossin«, sagte er hart. »Sie benehmen sich wie ein bourgeoises Liebchen.«
    »Gehen Sie 'raus, Sie Hund!« schrie die Kolzwoskaja. »Sie haben nie geliebt!«
    »Er war ein Sträfling! Ein Lebenslänglicher! Sie haben ihn versteckt! Sie haben Ihre Stellung als Ärztin mißbraucht …«
    »Mich haben sie mißbraucht! Mich!« schrie die Kolzwoskaja. »Die Parteidoktrin hat mich zu einer Maschine gemacht, die täglich Hunderte

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